Dieser Text entstand für die Anthologie adopt a day, in der 365 Menschen über jeweils einen Tag im Jahr 2014 berichten. Ich fand das Projekt von Anfang an toll und habe habe mich damals um ein Datum beworben. Dass es der 17. November sein sollte, war ausgemachte Sache, denn es war der errechnete Geburtstermin vom Bub.
Nun, natürlich halten sich Kinder selten an diese theoretischen Daten und deswegen kam auch mein Sohn eine Woche vorher zur Welt, in einer rasanten Geburt, bei der ich den Kreißsaal nicht wirklich lange belegte. Eine Woche später habe ich dann diesen Text geschrieben und wenn ich ihn jetzt nach wirklich langer Zeit das erste Mal wieder lese, dann spüre ich wieder die Magie dieser so besonderen Zeit. Und ich freue mich so sehr, dass ich all das ganz bald noch einmal erleben darf.
Und gleichzeitig bin ich ganz wehmütig, weil ich weiß, wie schnell auch sie wieder vergehen wird. Das kleine Baby aus diesem Text ist ein munterer, frecher Dreijähriger geworden, der alles und jeden mit seinem umwerfenden Charme an die Wand lächelt. Ja, es stimmt schon, was ich damals geschrieben habe: Es sind viele besondere Tage gefolgt und sie werden auch weiterhin folgen.
Oftmals sind wir uns dessen gar nicht wirklich bewusst, wie besonders sie sind. Im Alltag geht so vieles allzu schnell vorbei. Genau deswegen liebe ich es, diese Momente in Worten festzuhalten. Damit ich auch nach drei Jahren noch dasitzen kann und mich sehe, damals im Wochenbett, mit diesem kleinen verknautschten Bündel neben mir. Das Herz vergisst nicht. Das ist das Wunderbare. Und Worte und Herzen sind ganz eng verbunden.
17. November 2014: Erinnerungen ans Wochenbett
Das also ist er. Der Tag, der seit Monaten in meinem Kalender prangt. Ein großes Herz habe ich darum gemalt, klingt kitschig, aber mir war so sehr danach. Seit langer Zeit steht er schon in Formularen und wurde in irgendwelche Computersysteme eingetippt. Und, vor allem: Er ist meinem Herzen festgetackert.
Seit jenem Tag im März, als da dieser blasse blaue Streifen war, von dem ich mir gar nicht sicher war, ob er wirklich existierte. Ich hielt den schmalen Plastikstick mal hier hin, mal dorthin. Ja, da war eine Linie. Ganz schwach. Und es war klar, dass dieses Jahr ein besonderes wird. Und meine Beziehung zum 17. November 2014 begann.
Zwei Wochen später stand der Tag in dem kleinen Büchlein, dem Mutterpass, in dem fortan alle Daten, alle Untersuchungen eingetragen wurden. Ich schaute nach. Ein Montag. Kein besonderer Tag für die Welt. Aber für mich, für uns, einer, den wir ab diesem Zeitpunkt erwarteten. Der für uns zum Fixpunkt wurde. An diesem Tag also sollte unser Kind auf die Welt kommen.
Natürlich ist es so, dass nur wenige Kinder tatsächlich am errechneten Termin geboren werden. Trotzdem. Man braucht so ein Datum. Nicht nur für die Formulare. Sondern auch fürs Herz. November also. Allerheiligen. Volkstrauertag. Der November ist ein Monat, an dem wir viel an die Toten denken. Und ich werde Leben schenken. Eigentlich ein schöner Gedanke.
Nun ist er da, der 17. November 2014. Ich sitze zuhause auf der Couch. Und neben mir liegt ein kleines Bündel mit Doppelkinn und zerknautschter Nase. Eine Woche ist er nun alt. Er hat sich natürlich nicht an den Fahrplan gehalten. Aus dem 17. November hat er den 10. gemacht. Ein Montag. Ein guter Tag.
Und heute, eine Woche später, da sind wir schon mitten drin, uns kennenzulernen.
Der Tag ist grau, kurz blinzelt die Sonne zwischen den Nebelwolken hervor, um dann ganz schnell wieder zu verschwinden. Novembertage. Wir haben uns eingeigelt, wie man das so macht in der Wochenbettzeit. Nach einer Woche merke ich, wie so langsam die Kräfte wieder kommen. Bei 100 Prozent bin ich noch lange nicht. Es ist unfassbar, was ein Körper alles leisten kann, denke ich mir. Welche Schmerzen man auf sich nimmt, welche Einschränkungen. Während der Schwangerschaft. Bei der Geburt. Danach.
Mein Mann kocht Pasta und Kürbissuppe. Als ich den Fernseher kurz anschalte, läuft ein Trailer für eine Spendenaktion. Ist ja bald Weihnachten. Sie zeigen ein taubes Kind in Sambia, ein kleines Mädchen, vier Jahre alt. Es wird niemals hören können. Niemals lernen zu kommunizieren. Ich muss weinen. Manchmal bedrückt es mich, wie gut es uns geht.
Ich schaue auf mein Baby. So winzig ist er noch. Und ich weiß, wie schnell diese zauberhafte Zeit vergehen wird. Kinder zu haben bedeutet auch, dass man in einem Zeitraffer lebt, dessen Tempo einem manchmal den Atem raubt. Ich fasse seine kleine Hand und drücke sie ganz sanft.
Der 17. November 2014 ist ein ganz besonderer Tag. Wie alle weiteren, die nun folgen werden.
Vielleicht war das Jahr 2014 ja auch ein wichtiges für euch? Mehr über das Projekt adopt a day könnt ihr auf der Website nachlesen.