Es gibt Orte, die sind einfach magisch. Und jeder kennt mindestens einen davon. Und manchmal wundert man sich, was überhaupt die Magie ausmacht. Einer meiner absoluten Lieblingsplätze ist nämlich meistens ziemlich überlaufen. Er fehlt in keinem Reiseführer über München. Er ist so etwas wie der Anti-Geheimtipp. Und wenn man dort einkauft, kann man innerhalb kürzester Zeit ganz schön viel Geld ausgeben. Ich rede vom Viktualienmarkt.
Geht man an einem beliebigen Samstagmorgen in der Ferienzeit dorthin, trifft einen tatsächlich fast der Schlag. Asiatische Touristen drängen sich staunend am Pilzstand vor den Steinpilzen und Pfifferlingen, die sich dort haufenweise auftürmen. Horden von Leuten pilgern samt professionellem Führer zwischen den Ständen hindurch, bleiben immer mal wieder stehen, probieren hier, kosten dort. Im Biergarten gibt’s schon seit Stunden keinen Platz mehr, und sollte der Samstag einer zur Bundesliga-Zeit sein, kann man genau erkennen, welche Mannschaft zu Gast in der Allianz-Arena ist.
Alles eine Frage der Perspektive
Die „Aktions-Stände“ an den besonders prominenten Ecken verkaufen alles nochmal ein paar Cent teurer als ohnehin schon und Besucher-Trupps von jenseits der Trachtenregionen kann man treffsicher an ihrem Outfit erkennen. Sie tragen nämlich ganz gerne Dirndl im „Landhaus-Stil“ (die genau genommen mit Dirndln sowenig zu tun haben wie der Hamburger Fischmarkt mit einer Alm im Berchtesgadener Land) und Lederhosen aus einem der Schnäppchen-Läden ums Eck. Dazwischen huschen ein paar arabische Touristinnen, wohlbedeckt, Gucci-sonnenbebrillt und mit allerlei Tüten aus der Maximilianstraße bewaffnet durchs Gewühl, das Smartphone scharf im Anschlag. Kurz: Der ganze Viktualienmarkt ist so übervoll, dass man nur eines will, nämlich ganz schnell weg.
Somit wären dann auch alle Klischees abgearbeitet.
Wie wäre es damit: Ein ganz normaler Wochentag Anfang Juni, der Sommer nimmt gerade Anlauf, der Himmel ist morgens um halb neun noch eher zart-blau, aber man kann fühlen, dass der Tag schön werden wird, richtig sommertagschön. Im Biergarten unter den mächtigen Kastanien ist auch schon was los. Scheinwerfer leuchten. Da wird gerade eine neue Folge von München 7 gedreht, jener fantastischen und absolut empfehlenswerten Serie über den Polizisten Xaver Bartl und seine Kollegen, die mitten in München ihre Arbeit tun. Und das Herzstück der Serie ist der Viktualienmarkt. Wer jemals eine Folge gesehen hat, der versteht, warum der Viktualienmarkt mehr ist als eine Touristenattraktion. Weil er so etwas ist wie die Seele der Stadt.
Der Viktualienmarkt ist so was wie das Herz von München
Hier trifft alles aufeinander: Schickimicki-Champagner-Gedöns und bayerische Tradition im besten Sinne, Touristen und Ur-Münchner, Tropenfrüchte, deren Namen man erst googlen muss, und Weißwurscht-Seligkeit. Es gibt wohl wenig, was es nicht gibt. Wachteleier, Gänseleber, iberischen Hochpreis-Schinken, Pferdesalami, Käse aus dem hintersten Apulien, Suppen, Säfte, Pilze mit seltsamen Namen, Blumen, Trockenfrüchte, Oliven in gefühlt 100 verschiedenen Sorten, frische Pasta, saure Gurken, Souvenir-Tand, Ochsensemmeln, Schweinsfüße, Kräutersalat, Erdbeeren selbst im Winter, Fisch und Meeresgetier so frisch als läge München am Meer, österreichische Käferbohnen und ungarische Paprika und orientalische Meze, Wein und Bier, Kuchen, Brot und sogar einen ausschließlichen Kartoffelstand mit zig Sorten im Angebot. Im Sommer biegen sich die Auslagen noch ein bisschen mehr und man weiß gar nicht, wo man hin zuerst schauen soll.
In solchen Momenten, wenn der Markt wirklich noch ein Markt ist und keine Touristenattraktion aus dem Lonely Planet, liebe ich ihn. Ich liebe ihn im Winter, wenn manche Stände gar nicht geöffnet sind, weil sie Ferien machen, und alles in einem diffusen, milchigen Licht liegt. Ich liebe ihn im Herbst, wenn der Spätsommer nochmals aus den Vollen schöpft und man alles, aber auch wirklich alles, bekommt, was nach Sonne und Reife schmeckt. Ich liebe ihn im Frühjahr, wenn der erste Spargel und die ersten Erdbeeren ankommen und man weiß: Jetzt beginnt wieder die Saison von Licht und Luftigkeit. Und ich liebe ihn an jenen stillen Sommermorgen, bevor der Sturm losbricht und der ganze Markt noch einmal Luft zu holen scheint, bevor es wieder los geht mit dem alltäglichen Wahnsinn.
Man muss nicht einmal etwas kaufen. Es ist einfach wunderschön, einfach nur dort zu sein, sich umzuschauen, zu kosten, und zu schnuppern und sie einzuatmen. Die Seele der Stadt.
EXTRA-TIPP: Ein wunderbares Buch über den Viktualienmarkt ist übrigens dieses hier: Der Viktualienmarkt kocht. Nizza Verlag, 2011. Tolle Fotos und Rezepte, dazu Geschichten zu den einzelnen „Standln“: Bildband, Kochbuch und Reiseführer in einem.
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