Gestern las ich in einer Umfrage der Zeitschrift Eltern darüber, was sich Eltern wirklich wünschen. Es ging, natürlich, um die Vereinbarkeit, um den Druck, der heute auf jungen Eltern lastet, um den Stress, den das alles verursacht. Von einem Rückzug ins Häusliche, ins Natürliche, ins kuschlige Nest war zu lesen, quasi eine Art Neo-Biedermeier, der sich als Trend gerade breit mache.
Witzigerweise habe ich tatsächlich schon öfter an das Biedermeier gedacht, bei all diesem Hygge-Gedöns und „Mach’s dir zuhause gemütlich“-Rufen, die einen derzeit so überschwappen. Um das kurz vorweg zu stellen: Ich mag schöne Architektur und schöne Wohnungen, ich liebe es zuhause auf der Couch zu liegen und mich dabei in eine Decke zu kuscheln. Ich mag Interior-Zeitschriften und Instagram-Accounts, denen man das Gefühl für Stil auf den ersten Blick ansieht.
Und irgendwie passt der Begriff Biedermeier auch gar nicht so zu dieser modernen Ästhetik aus Weiß und Pastell, die sich grade überall breitmacht. Weil, Biedermeier, das ist doch 19. Jahrhundert, das ist muffig und hausbacken, mit diesem speziellen Geruch von Spießigkeit. Im Biedermeier zog man sich zurück in die eigenen vier Wände, machte Hausmusik und genoss das Leben in der Familie. Kriege und Leid draußen wurden ausgeblendet, was zählte, war das kleine Glück im persönlichen Idyll.
Hygge ist das neue Biedermeier
Trotzdem kommt man nicht umhin, durchaus Parallelen zu erkennen. Nur dass halt das Biedermeier am Ende der 2010er Jahre Hygge heißt und man statt Hausmusik zu machen den Garten bepflanzt oder Mandalas malt. Es ist ja auch vollkommen in Ordnung das zu tun, was einem Spaß macht. Ich frage mich bei all der Befeuerung in den Medien und sozialen Kanälen mit weiß-pastelliger Interior-Glückseligkeit nur manchmal: Wo zum Teufel ist nur der ganze Schmutz geblieben?
Ich sehe Blogs, auf denen 25-Jährige perfekte (und teuer aussehende) Wohnungen haben, mit perfekt aufeinander abgestimmten Accessoires, ich sehe Instagram-Accounts voller Kuscheldecken und Füße in Wollsocken, Bowls mit Superfood-Toppings und handgeletterte Kunstwerke, die so wunderschön sind, dass ich sie natürlich auch an die Wand hängen würde. Magazine klären mich darüber auf, wie ich das Kinderzimmer perfekt in Pastell einrichte und dabei noch wichtige Montessori-Regeln für die Aufbewahrung der Spielsachen beachte. Alles ist so wunderschön clean und cosy und macht mir Lust, mich sofort in einen Wollumhang zu kuscheln, den Kamin anzuwerfen und mich inmitten meines wundervollen Zuhauses dem vollkommenen Glück zu widmen.
Aber Stopp.
Ich hab gar ja keinen Kamin. Wir haben auch kein pastellfarbenes Kinderzimmer und eine Montessori-Ordnung der Spielsachen würde etwa fünf Sekunden so bleiben wie sie ist. Danach wäre sie über die komplette Wohnung verteilt. Ich habe keinen grünen Daumen und die tollen Tipps zum Arrangement von Grünpflanzen hätten sowieso keinen Wert, weil unsere Altbau-Wohnung leider nicht luftig-hell ist, sondern, wenn es blöd läuft – je nach Tageszeit-, ziemlich dunkel (das sich seit über einem Jahr an der Fassade befindende Gerüst macht es leider nicht heller). Außerdem haben wir mit zwei Kindern und 3 Zimmern einfach immer notorisch zu wenig Platz für Deko.
Also, was ist nun mit dem Schmutz. Damit meine ich jetzt nicht per se, dass es dreckig sein muss. Aber wir wissen doch alle, dass das Leben halt manchmal schmutzig ist. Und vielleicht ist das ja auch ganz gut so. Mit 25, um nochmal auf das Beispiel oben zurückzukommen, hatte ich in der Rückschau durchaus andere Dinge im Kopf als Interior Design. Ich hatte auch keine durchgestylte Wohnung, wo ich das hätte zeigen können. Aber, hey, ist es nicht manchmal einfach cooler, das Leben einfach zu leben und nicht ständig an Smoothie Bowls, Wollsocken und Avocado-Toast denken zu müssen und daran, wie man die perfekt fotografiert bekommt für den nächsten Post? Vielleicht hatten wir damals auch einfach nur Glück, dass die sozialen Medien erst in den Kinderschuhen steckten und wir damit einfach nicht in Versuchung kamen. Vielleicht hätte das auch gar keiner sehen wollen. Wer weiß das schon.
Jetzt bin ich nicht mehr 25 und gehe nicht mehr in ranzige Clubs. Ich falle nicht mehr im Morgengrauen aus irgendwelchen Türen heraus, weil die Party einfach so gut war, dass sie ein bisschen länger gedauert hat. Aber ich bin jetzt Mutter, ich bin diejenige, die das „Zuhause“ zu einem guten Teil schmeißt und die qua dieser Tatsache also maßgeblich für den Hygge-Faktor in unserem Haushalt zuständig ist. Und ich frage mich halt ständig, ob das nicht alles ein bisschen zu kurz gedacht ist. All das Kuscheln, all das softe Gefühl des kleinen Glücks – tun wir uns damit einen Gefallen, dass wir unser Leben so dermaßen auf solche Begriffe reduzieren?
Pastell versus Schmutz – die Rollen sind klar verteilt
Vermutlich ist es einfach so, dass keiner den Schmutz sehen will. Geschenkt. Ich mag schöne Pastellbilder von Eiswaffeln (die natürlich von Händen mit perfekt manikürten Nägeln gehalten werden) und Milchshakes auch lieber als eine Nahaufnahme aus der letzten Ecke der Saufkneipe am anderen Ende der Straße. Und ganz sicher ist es so, dass Social Media nicht das reale Leben abbildet. Wird ja auch immer wieder betont. Trotzdem gibt all das dem Trend einen gewissen Geschmack und der schmeckt halt eher nach Bonbon und nicht nach wilder Partynacht. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich immer so ein ganz leichtes unterschwelliges Unbehagen fühle bei all den Homestorys und Gartenträumen, tolles Lofts und pastellig-perfekten Leben, die ich da so sehe.
Weil ich halt weiß, dass das Leben mehr ist als das. Und ja, ich geb es zu, manchmal bin ich tatsächlich neidisch darauf, wie schön es andere haben und ich schaffe es ums Verrecken nicht, nur mal einen Kaktus am Leben zu halten und als Bastel-Tante bin ich eine solche Niete, dass ich schon überlegt habe, eine Rubrik mit meinen persönlichen Pinterest-Fails hier auf dem Blog zu installieren.
Kürzlich lief mir auf einem dieser cremeweißen Instragram-Accounts auch wieder dieser Spruch über den Weg, der ja allzu gerne aufgerufen wird, um das Junge, Wilde zu feiern, denn alle wollen so sein wie sie, der Prototyp des unbezähmbaren Mädchens, das sich an keine Konventionen hält:
Sei Pippi und nicht Annika.
Was Pippi wohl zum (Neo)Biedermeier sagen würde? Vielleicht das: Geh raus und mach dich mal so richtig dreckig.