Die Tage erschien ein grandioser Text von SZ-Autor Max Scharnigg auf dessen Blog. Ein grantliger Rant über München, über diese Stadt zwischen Größenwahn und Dorfdisco-Feeling, die immer so viel auf sich hält und doch scheinbar nichts bietet. Und die einen Vergleich mit anderen Städten, selbst so (auf den ersten Blick) kleinen wie Porto oder Reykjavik einfach nicht standhält. Weil es hier eben halt doch miefig und unkreativ ist, weil immer alles geregelt wird und alle immer nur rumgranteln. Das Echo im Netz war gewaltig. Weil in diesem Text des Urmünchners Scharnigg einfach ziemlich viel Wahres steckt. Es musste halt nur einfach mal einer aussprechen.
Die Sache mit der Stadt-Stadt
Nun traf es sich, dass ich vor Kurzem mit dem Mann nach Paris fuhr. Für einen Tag, verrückte Sache, aber meine Eltern wohnen an der französischen Grenze und von da aus fährt man mit dem TGV mittlerweile in weniger als zwei Stunden nach Paris. Wir stiegen also morgens um kurz nach 8 in Straßburg in den Zug und um 10 in Paris wieder aus. Gingen zweimal ums Eck und blieben am Canal St. Martin direkt in einer Boulangerie hängen. Kauften uns ein Pain au Chocolat und einen Milchkaffee und schlenderten am Kanal entlang.
Paris, da muss man ja auch nicht viel sagen, oder. Paris ist Paris, diese Stadt ist halt an jeder Ecke einfach unfassbar und atemberaubend. Dachte ich einmal mehr in diesem Moment. Und, schwups, da war sie auch schon wieder, die Erkenntnis. Dass es eben diese Handvoll Städte gibt, die besonders sind. Ich nenne sie „Stadt-Stadt“, weil sie mehr sind als eine Stadt. Sie sind ein Lebensgefühl. Sie haben einen Puls, der einen ganz besonderen Takt schlägt. Paris gehört dazu. London und natürlich New York. Und ich finde, auch Berlin spielt mittlerweile in dieser Liga. Vermutlich hat jeder so seine eigene Hitliste an „Stadt-Städten“, sicher kann man auch Barcelona dazu nehmen, vielleicht auch Rom, wobei mir dort persönlich zu viele alte Steine herumliegen für dieses Metropolen-Gefühl.
In diesen urbanen Stadt-Städten merkst du an jeder Straßenecke das Leben. Restaurants, Kneipen, Buchläden, Galerien, alles dicht an dicht. Du gehst durch die Straßen und hörst in 10 Minuten mehr als 10 verschiedene Sprachen. Ich liebe das. In diesen Städten blühe ich auf, weil ich dieses Leben liebe, das sie versprühen. Diesen Zeitgeist, der modern ist und doch gleichzeitig immer auch eine gewisse Patina hat. Es muss nicht immer alles auf Hochglanz gebürstet sein, um schön zu sein. Ich persönlich mag diese Patina sehr.
München liegt ja bekanntlich in Italien. Nicht.
Und dann unterhielt ich mich auch just vergangene Woche mit einer Mutter im Kindergarten über Italien und über unser Viertel. Ihr Mann ist Italiener und wir sprachen darüber, wie gerne München ja die nördlichste Stadt Italiens wäre, dass aber Wunsch und Wirklichkeit doch ziemlich auseinander klaffen. Man muss wissen, das Glockenbachviertel, in dem wir wohnen, ist so etwas wie das hippe Zentrum Münchens, wenn man das so sagen kann. Es ist zumindest voll von Bars, Kneipen und Restaurants und man kann alle zwei Meter irgendwo anhalten, einen Espresso in einer französischen Boulangerie trinken, im Hipster-Burger-Laden einen veganen Burger ordern oder vietnamesische Nudelsuppe schlürfen. Das Glockenbach- und das benachbarte Gärtnerplatz-Viertel ist das München, das Max Scharnigg vermisst, es ist der urbane Entwurf dieser Stadt und das Musterbeispiel dafür, dass München an manchen Stellen eben doch nicht leer und langweilig sondern cool und kosmopolitisch ist.
Nun wissen das natürlich viele Leute und hier liegt das Problem. Weil München halt an vielen anderen Stellen eben nicht so cool ist, sondern eher dem piefigen München aus dem Scharnigg-Text gleicht, kommen halt alle hierher. Und sitzen dann in den lauen Sommernächten auf dem Gärtnerplatz und an der Isar und zelebrieren das „München-Gfui“. Denn wer was auf sich hält in München, geht raus. Unter der Woche eben in den Biergarten oder an die Isar und am Wochenende in die Berge. Die ja, wenn man so herumfragt, immer als „mit das Schönste“ an München gelten – weil sie halt so nah sind und es so schön ist dort.
Ach, Isar …
Und dann sitzen alle draußen und finden, das alles sei hier ja mindestens so toll wie in Italien. Da schließt sich der Kreis zu unserem Gespräch im Kindergarten, denn ich finde nämlich, dass das alles so rein gar nichts mit Italien zu tun hat. Ich gestehe: Ich bin mittlerweile froh, wenn es im Sommer mal länger regnet. Weil dann eben nicht die Horden an der Isar lagern und alles vermüllen, vom Lärm ganz zu schweigen. Denn, und da liegt der feine Unterschied zum italienischen Piazza-Gefühl: Das, was hier unter dem Deckmantel des Dolce Vita geschieht, hat leider überhaupt keinen Stil.
In Italien steht man lässig auf der Piazza und hat seinen Drink in der Hand. Man unterhält sich in angemessener Lautstärke (kultiviert!) und irgendwann geht man wieder nach Hause. Die Party-Sause an der Isar hat ihren Stil schon längst irgendwo im Fluss versenkt. Eigentlich geht es nämlich nur noch ums Laut sein und ums Saufen. Dieses Jahr gab es Ende März schon diese ungewöhnlich warmen Tage mit lauen Nächten – das Geschrei, das vom Fluss herüber drang, war ohrenbetäubend. Und zwar nachts um halb 3, ein guter Vorgeschmack auf den Sommer. Vielleicht bin ich mittlerweile auch einfach zu alt. Wer weiß das schon.
Jetzt kann man sich natürlich fragen, ob das ein spezifisches Problem in München ist, oder ob der gemeine Deutsche einfach nicht gemacht ist für diese italienische Lässigkeit. Bekannterweise scheitern die Teutonen ja schon beim Versuch, sich kleidungstechnisch anzupassen meistens ziemlich krachend. Warum also sollte es beim Lebensgefühl anders sein.
Ich habe auch nie verstanden, wieso München die Isar so standhaft vom Leben abklemmt. Man müsse ewig laufen, um nur mal eine trockene Breze zu finden, schreibt Max Scharnigg. Stimmt! Es gibt keine Biergärten am Wasser, keine Cafés, kein Nichts. Als vergangenes Jahr ein Streit um die Ausrichtung des Stadtstrandes an der Isar entbrannte, wurde der mit eiserner Faust geführt – es darf nur einen geben! Statt einfach zwei Strände aufzumachen. München ist doch groß genug, die Isar lang genug, der Bedarf groß. Denn statt den Menschen einen Anlaufpunkt zu geben am Wasser, überlässt man die Isar einfach mal sich selbst (von den paar Kiosk-Urgesteinen wie dem „Isar-Wahn“ an der Wittelsbacher Brücke mal abgesehen, wo es zugegebenermaßen eine ganz akzeptable Currywurst gibt). Wildwuchs ist da vorprogrammiert.
Die Sache mit den Wartelisten
Natürlich besteht München nicht nur aus der Isar und es wäre vermessen, alleine daran das Wesen der Stadt festzumachen. Trotzdem ist die im Sommer immer volle, eigentlich übervolle, Isar ein Zeichen. Dafür nämlich, dass diese Stadt irgendwie immer überquillt. München sei zu voll und zu leer zugleich, schreibt Scharnigg und da hat er recht. Das Leben in München, gerade wenn du Kinder hast, besteht daraus, sich in Wartelisten einzutragen. Für die Hebamme, für den Platz im Kreißsaal, für die Krippe, für den Kindergarten, für den Hort. Vielleicht sogar irgendwann fürs Begräbnis. Denn trotz all der Unkenrufe, München sei spießig und langweilig (und halt einfach keine Stadt-Stadt), kommen immer mehr Menschen hierher. Weil sie halt doch etwas zu finden hoffen. Einen Job, klar. Aber gleichzeitig auch einen guten Platz zum Leben.
Wer einmal gesehen hat, wie bei Föhn die Berge hinter der Stadt zu beginnen scheinen, wer einmal frühmorgens über den Viktualienmarkt geschlendert ist und dieses ganz besondere Flair aufgeschnappt hat, wer einmal einen Tag an dieser Stelle an der Isar verträumt hat, die keiner kennt, wer einmal nach einer nächtlichen Tour durch die Boazn, die es ja doch immer noch gibt, gefühlt das komplette Viertel kennengelernt hat – der hat es nämlich erlebt, dieses Gfui, das natürlich noch existiert, man muss es halt ein bissl suchen.
Leben und hassen gleichzeitig. Das geht.
Ich wohne seit 20 Jahren in dieser Stadt, ich habe sie lieben und manchmal auch hassen gelernt. Am Ende ist sie meine zweite Heimat geworden. Ich war Studentin, junge Berufstätige, Mutter. München hat mir in jeder Phase etwas gegeben. Natürlich rege ich mich auf, wenn ich krumm und grantig angeschaut werde, weil ich es wage, mit einem Kinderwagen mitten in der Rush Hour in eine Trambahn oder U-Bahn zu steigen. Mich nerven diese Wartelisten und das Gefühl, dass man sich immer irgendwo anstellen muss. Von den unverschämten Mieten und Immobilienpreisen mal ganz zu schweigen.
Unter vielen Gesichtspunkten wäre München vermutlich keine gute Stadt. Aber welche wäre es dann? Paris vielleicht? New York? Oder Wien, die Stadt, von der ich zu sagen pflege, es wäre die einzige außer München, die ich mir als Wohnort vorstellen könnte? Stadt-Städte mögen unwahrscheinlich attraktiv sein, auf den ersten Blick. Vielleicht auch für vier Wochen, wenn man sich in ein schickes AirBnB einmietet und sich damit so wunderbar einheimisch fühlen kann. Aber richtig ankommen in einer Stadt kann man erst, wenn man all die Dinge dort erledigen muss, die zum Leben dazu gehören. Auf Behörden zu gehen. Anträge auszufüllen. Sich in diese verdammten Wartelisten einzutragen. Und die können vermutlich auch in Paris, in Rom oder in Tokio verdammt lang sein.
Dann vielleicht doch eher das Unvermeidbare in einer Umgebung ertragen, die einen ein bisschen für all die verlorenen Nerven entschädigt. Weil es halt doch einfach schön ist hier, ich kann es nicht anders sagen, und ich hab schon recht viele Orte auf der Welt gesehen (und an manchen fand ich es so toll, dass ich München fast untreu geworden wäre). Zurückgekommen bin ich doch jedes Mal.
So deppert ist es doch gar nicht
Man muss nur wissen, wann man wohin gehen muss. An einem regnerischen Vormittag an die Isar beispielsweise. Dann ist da weit und breit keiner. Der Fluss gurgelt sanft, als ob er eine Geschichte zu erzählen hätte. Wo er herkommt, wo er hingeht. Dass das Leben doch ganz schön und es in München doch gar nicht so übel ist. Weil die Stadt am Ende des Tages ja mehr ist als der FC Bayern oder die Maximilianstraße. Genauso wie Paris nicht nur aus dem hippen Marais-Viertel besteht und du in New York auch nur glücklich wirst, wenn dein Jahreseinkommen im höheren sechsstelligen Bereich liegt.
Man kann es verschnarcht nennen. Man kann es chillig nennen. Zwischen diesen beiden Polen ist ziemlich viel Raum. Fürs Leben beispielsweise.
Alles eine Frage der Perspektive.
Noch mehr München
Einen Brief an mein München habe ich vergangenes Jahr geschrieben, als es darum ging, was man wohl an München vermissen würde. Die Wartelisten waren es schon damals nicht.
2 comments
So wunderbar beschrieben, liebe Petra. Auch wenn München wirklich oft total überlaufen ist, gibt es die ruhigen, schönen und ursprünglichen Ecken. Und am ehesten entdeckt man sie, wenn man vormittags einfach ohne ein Ziel durch die Stadt schlendert. Vlg, Nadja
Danke Nadja! Genauso ist es …