Die Sommerpause ist vorbei – weiter geht es mit neuen Geschichten aus dem Leben! Immer montags auf dem Blog – meine Gedanken und Lesestücke zum Start in die neue Woche. Die heutige Geschichte ist wirklich sehr persönlich – und sie betrifft nicht nur mich, sondern eine meiner besten Freundinnen, ich nenne sie hier A. Vor einiger Zeit hat sie mich gefragt, ob ich nicht einen Text über unsere Freundschaft und ihre Krankheit schreiben möchte. Denn sie hat Mukoviszidose, eine unheilbare Erbkrankheit, bei der die Stoffwechsel-Prozesse im Körper gestört sind. Die Lebenserwartung ist, je nach Schwere der Krankheit, um einiges geringer als bei „gesunden“ Menschen. Was diese Krankheit mit unserer Freundschaft macht, davon möchte ich hier erzählen.
Ich habe gesehen, wie diese Krankheit selbst einen Menschen, der so voller Lebensfreude und Energie ist, an seine absoluten Grenzen und darüber hinaus führt. Die Verzweiflung, die daraus erwächst.
Beginnen
Als die Mukoviszidose in mein Leben trat, war ich 20 Jahre alt und lag auf einer Wiese in einem Schwimmbad in München-Schwabing. Ich habe eine unheilbare Krankheit, sagte A. und erwähnte das irgendwie so beiläufig, als hätte sie mir gerade mitgeteilt, dass sie sich mal schnell am Kiosk eine Portion Pommes holen würde. Bis ich wirklich begriff, was sie da gerade gesagt hatte, sollte es noch eine ganze Weile dauern. Im Grunde habe ich es bis heute nicht verstanden, was es heißt, eine solche Krankheit zu haben.
Ein paar Wochen zuvor waren wir uns an der Uni über den Weg gelaufen. Markt- und Werbepsychologie, Proseminar. Sie saß in diesem Hörsaal ohne Fenster, es war Frühling draußen, den wir allerdings da drinnen nicht sahen. Freitagnachmittag von 13 bis 18 Uhr. Gleich in der ersten Stunde hatte der Dozent klar gemacht, dass er in der Klausur vor allem Wissen abfragen würde, das nicht im Skript stand und das man nur durch Anwesenheit erlangen würde. Damit war klar: Da mussten wir jetzt durch. Alle zusammen. Freitag für Freitag. Ich setzte mich neben sie. Jahre später würde sie mir sagen, sie hätte sich damals gedacht: Die schaut aber nett aus, die ist sicher lustig.
Wir quälten uns durch die langen Freitage und fingen an uns zu mögen und gemeinsam auf Partys zu gehen. Wir machten die Nächte durch, wir feierten unsere Jugend und unser Leben. Und irgendwann saßen wir auf der Wiese im Schwimmbad und sie sagte mir, dass sie krank sei.
Begreifen
Wenn ich sage, dass ich bis heute nicht wirklich begriffen habe, was diese Krankheit bedeutet, dann hat das viel mit A. zu tun und ihrer Gabe, ihr Leben und ihr Schicksal zu meistern. Ich habe niemals einen Menschen getroffen, der disziplinierter ist. Ich kenne wenige Menschen, die so lebenslustig sind, so voller Energie und Stärke. Sie hängte mich mühelos ab. Beim Sport. Beim Feiern. Es gibt Momente, die sind magisch, weil sie für die Ewigkeit gebaut sind. Es sind Augenblicke, die es immer nur einmal im Leben gibt und die nie mehr wiederkommen. Die man nur dann erleben kann, wenn man jung ist und frei, weil man die Lasten, die das Leben auch zu bieten hat, einfach ignoriert.
Die Partys. Die durchquatschten Nächte in der 10-Quadratmeter-Studentenwohnheim-Bude. Diese Nacht in Padua, in der wir aus dem Kloster türmten, in dem sie während eines Praktikums wohnte, und morgens um 6 Spaghetti in irgendeiner WG-Küche kochten. Unsere Ski-Trips ins Zillertal, die wir immer noch jedes Jahr machen. Es sind Erinnerungen, die du in deinem Herzen trägst. Und die so voller Leben sind, genau so wie sie.
Begleiten
Und doch habe ich auch die dunkle Seite ihrer Krankheit erlebt. Die regelmäßigen Antibiotika-Infusionen, die den Körper stützen sollen in seinem Kampf gegen die Keime in der Lunge und im Schleim, den der kranke Körper in Unmengen produziert. Tage und Wochen mit einer Nadel im Arm. Die Stunden über Stunden an Inhalationen, täglich mehrmals, die überlebenswichtig sind. Die Infekte, die einen immer wieder zurückwerfen. Das Alter, das unbarmherzig ist. 40 kann alt sein mit Mukoviszidose. Es ist nicht selbstverständlich, dass man dann noch lebt. Ich habe gesehen, wie diese Krankheit selbst einen Menschen, der so voller Lebensfreude und Energie ist, an seine absoluten Grenzen und darüber hinaus führt. Die Verzweiflung, die daraus erwächst.
Bewundern
Die Wiese im Schwabinger Freibad, das war vor fast 20 Jahren. Seitdem spielt die Mukoviszidose auch in meinem Leben eine Rolle. Weil sie einen Menschen betrifft, der einer der wichtigsten in meinem Leben für mich geworden ist. Eine Freundin, auf die ich mich immer verlassen kann. Die meine Trauzeugin war. Die auf meiner Hochzeit sogar noch vor mir geheult hat. Mit der ich so viele andere besondere Momente geteilt habe. Und die ich immer noch so unendlich bewundere. Für ihren Mut. Für ihre Kraft.
Ihr Sohn ist jetzt 4 Jahre alt. Sie hat einen wundervollen Mann, eine tolle Familie. Wie viele hätten gesagt: Ein Kind, mit deiner Krankheit – bist du verrückt? Sie hat es durchgezogen, mit ihrer unnachahmlichen Art. Ich schaffe das. Weil ich auf mich vertraue.
Vor ein paar Wochen gingen wir zusammen auf den Berg. Es ging ihr nicht gut, sie musste oft anhalten, die Luft wurde knapp. Eine veränderte Medikation in einer anderen Klinik, die sich als Fehler herausstellte. Die Infekte, die ihr kleiner Sohn aus der Kita mitbrachte. Drei Umzüge innerhalb Europas in 4 Jahren, weil ihr Mann in einem internationalen Unternehmen arbeitete. Das alles zusammengenommen hat an ihrer Kraft gekratzt.
Zusammenhalten
Das erste Mal in meinem Leben fühle ich mich krank, sagte sie an diesem Wochenende. Es hallt nach. Weil die Krankheit in solchen Momenten so greifbar wird. Weil ich sehe, dass all die Kraft, all die Disziplin, all die Lebensfreude auch endlich sein können. Und weil ich erkenne, dass ich auch nach so vielen Jahren kaum begriffen habe, was es bedeutet, unheilbar krank zu sein.
Aber was ich weiß: Wahre Freundschaft überdauert alles. Denn ohne sie sind wir nichts. Und mit ihr alles. Sie ist das Band, das unser Leben lebenswert macht. Das uns stark macht, um zu leben.
Und dieser verdammten Krankheit ins Gesicht zu rotzen: Uns bekommst du nicht.
Mehr Infos
Was genau ist Mukoviszidose? Die Website des Mukovidszidose e.V fasst das übersichtlich zusammen. Dort gibt es auch einen Blog, in dem Mukoviszidose-Patienten ihre persönlichen Erfahrungen teilen. Nachdenkliche Geschichten ebenso wie aufmunternde, die nicht nur für Betroffene gedacht sind. Dort berichtet auch eine Mama über das Muttersein mit Mukoviszidose.
Zudem gibt es Stiftungen und Vereine, die aufklären und Forschung unterstützen: Beispielsweise die Christiane-Herzog-Stiftung, die Christian-Lell-Stiftung oder der Münchner Verein cfi-aktiv.
5 comments
Liebe Petra,
dein Beitrag hat mich zu Tränen gerührt, weil er grade so verdammt richtig kommt: Gestern wäre eine meiner liebsten Freundinnen 40 geworden. Sie hatte auch Muko und ist letztes Jahr gestorben. Sie war ein ganz besonderer Mensch für mich – wie eine Schwester – und hat mein Leben so unfassbar bereichert mit ihrer energiegeladenen, offenen, positiven und vor allem verrückten Art. Sie hatte trotz ihrem Leid immer ein Ohr für die kleinen Sorgen der Anderen und war mir meine beste Lebensberaterin. Sie fehlt. Ich habe sie durch die Zeit der Transplantation vor 4 Jahren begleitet und über ein Jahr lang jeden Tag auf der Intensivstation besucht. Wir haben gemeinsam den Tod eingeschüchtert und um jeden Tag gekämpft. Wir haben ihren Körper liebevoll wieder zu Kräften gebracht und auf jeden neuen Tag gehofft, der es besser und leichter für sie machen wird. Als ich sie kennenlernte, sagte sie „Ich möchte nicht transplantiert werden. Ich bin dann vielleicht nur Anfang 30 geworden, aber mein Leben glaube ich mehr und intensiver gelebt als die meisten „Gesunden“. 5 Jahre später kam es über Nacht anders und sie musste sich binnen Sekunden entscheiden. Und sie entschied sich für die Transplantation, widerwillig und aus dem Druck des Krankenhauses heraus. Letztlich hat sie recht behalten… sie hat ihr Leben gelebt. Und wie! Und ich bin zutiefst dankbar für jeden einzelnen Tag mit ihr. Gesine – das hier ist für dich!
Liebe Kerstin, ich danke dir von Herzen für deine wunderbaren Worte und deine Geschichte. Eine solche Freundschaft zu haben ist ein Geschenk. Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich den Gedanken an den Tod ganz weit von mir schiebe. Wohl weil das menschlich ist. Und doch gibt es eben diese Momente, in denen mir bewusst wird, wie fragil alles ist. Ich bin unendlich froh, diesen Text geschrieben zu haben, weil ich durch ihn auch ein Stück weit in mich selbst hinein gehorcht habe. Und erkannt habe, wie wertvoll unsere gemeinsame Zeit ist. Alles Liebe <3 petra
Ich glaube, es ist allzu menschlich, den Tod nicht im Hier & Jetzt zu viel Raum zu geben. Gleichzeitig ist es wertvoll, ihn schon im Leben zu akzetieren, da uns daher die verbleibende Zeit an jedem einzelnen Tag sehr bewusst ist. Ich wünsche euch noch super viel von dieser gemeinsamen Zeit und von Herzen das Beste. Das Leben ist zum Leben da! :-)
Sehr, sehr bewegender Beitrag liebe Petra!
Danke Michaela! Das war für mich auch einer der wichtigsten Posts, die ich jemals geschrieben habe. In solchen Momenten weiß ich, warum ich das Bloggen liebe. :)