Vor kurzem hatte meine Tochter Einschulung. „Die Große“, wie ich jetzt immer öfter sage. Denn das ist sie jetzt. Ich begleite sie zur Eingangstür der Schule und ab da ist sie auf sich gestellt. Keine Mama mehr, die etwas hinterher trägt. Neben der Tür hängt ein Zettel, der explizit darauf hinweist, man möge die Kinder „aus Gründen der Erziehung zur Selbständigkeit“ doch bitte nicht bis zum Klassenzimmer begleiten.
Und während ich ihr so nachschaue, wie sie mit ihrem überdimensional wirkenden Schulranzen auf dem Rücken die Treppe hinaufstapft, denke ich darüber nach, wie das passieren konnte, dass mir die letzten sechs Jahre einfach so durch die Finger geronnen sind.
Und es war doch nur ein Wimpernschlag …
Es gibt Dinge über das Leben mit Kindern, die sagt einem keiner. Vielleicht auch deshalb, weil man sie nicht verstehen wird, so lange man noch keine Kinder hat. Der Kampf mit der Zeit, die immer viel zu schnell vergeht, gehört sicherlich dazu. Mit Kindern dreht sich die Welt wie in einem Karussell, an das eine Zeitmaschine angeschlossen ist. Man steigt fröhlich in einen der Wagen ein, und wenn man wieder aussteigt, erkennt man erstaunt, dass derweil Monate und Jahre vergangen sind. Dabei, so meint man, war das doch nur eine klitzekleine Fahrt, so schnell vorbei wie ein Wimpernschlag.
Und so kommt es, dass ich diesem Schulkind hinterherblicke und ich mich einerseits so sehr freue. Und gleichzeitig wische ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel. Denn es sind diese Momente, in denen wir begreifen, dass so vieles schon vorbei ist. Unwiederbringlich vorbei. Dieses Mädchen da mit dem Schulranzen war doch gerade erst ein wenige Stunden altes Baby, so klein und zart und zerbrechlich in meinen Armen. Wo ist es nur geblieben?
So viele erste Male. So viele letzte Male.
Das erste Mal ein Kind zur Welt bringen, das erste Mal Mama sein, das erste Mal Stillen, das erste Mal Wickeln, Lächeln, Rollen, Robben, Laufen, die ersten Worte, der erste Krippentag, trocken werden, das erste Mal im Meer, das erste Mal auf Skiern, der erste Tag im Kindergarten, größer werden, mobiler werden, Fahrrad fahren, Klettern, Toben, erste Buchstaben kritzeln, Freundinnen haben, Zöpfe flechten … Und jetzt: das erste Mal alleine die Schultreppe hinaufgehen.
Es wird nicht bei diesen ersten Malen bleiben. Und die, die folgen, werden immer öfter erste Male sein, bei denen ich nichts mehr zu melden habe. Irgendwann, bald schon, wird sie sich nicht mehr nach mir umdrehen, wenn sie da auf der Treppe steht. Sie wird ihren eigenen Weg suchen und finden.
Es gehört zum Elternsein dazu, diesen bittersüßen Schmerz des Loslassens auszuhalten. Und zu lernen, dass wir die Zeit nicht anhalten können, so sehr wir uns das manchmal auch wünschen. Wir werden dieses Gefühl ein Leben lang mit uns tragen, denn Eltern zu sein, endet schließlich nicht mit dem Kleinkindalter oder in der ersten Klasse. Und ich ahne, was da noch alles auf mich zukommen wird. Immerhin bin ich ja selbst nicht nur Mama, sondern auch Tochter.
Im Jetzt und Hier sein
Und wenn ich so darüber nachdenke, liegt da vermutlich auch der Schlüssel dazu, wie man mit diesen ständigen Abschieden umgeht. Indem man sich auf das freut, was noch vor einem liegt. Und dabei am besten auch das Heute nicht vergisst. Denn heute geschieht das, was wir morgen vielleicht schon wieder vermissen werden.
Die Zeitmaschine dreht sich weiter und sie kennt nur eine Richtung. Ein Zurück gibt es niemals. Und so bleibt uns nichts anderes übrig, als all die Erinnerungen, all die besonderen Momente dort zu parken, wo sie am allerbesten aufhoben sind: In unseren Herzen, die Backup und Cloud in einem sind, und die zum Glück so unendlich viel Speicherplatz haben, dass es noch für viele erste Male reicht.
Dieser Text erschien zuerst als Seite 4 Kolumne im Zwergerl Magazin. Dort schreibe ich in jeder Ausgabe über das Leben mit Kindern und meine Gedanken als Dreifach-Mama. Beispielsweise darüber, wie überraschend der Alltag mit Familie immer wieder sein kann.