Die ganze Welt redet derzeit von der französischen Erziehung. Schuld daran ist das Buch der Amerikanerin Pamela Druckerman. Und dieses ist einmal wieder ein gutes Beispiel für ein funktionierendes Titel-Marketing. Es heißt nämlich „Warum französische Kinder keine Nervensägen sind.“ Liest man im Vorbeigehen und denkt sich: Hey, da kann ich was lernen, mein Kind IST nämlich eine echte Nervensäge. Und schon ist’s gekauft.
Das Ganze erinnert mich an einen Bestseller, der vor zwei Jahren der Toptitel für alle von Schlafmangel gezeichneten Eltern war, und der unter dem prägnanten Titel „Go the Fuck to Sleep“, zu deutsch „Verdammte Scheiße, schlaf ein“ erschien. Auch da fühlt man sich doch direkt angesprochen, wenn die Schratzen daheim einen schon auf dem Zahnfleisch gehen lassen. Der Titel eines Buches ist die halbe Miete, man kann da auch“Schlank im Schlaf“ als Beispiel nennen. Das hat zwar direkt nichts mit Kindern zu tun, aber auch hier ist der Titel genial und verkauft sich bestens. Frau Druckerman hat also offensichtlich die richtigen Schalter gedrückt. Ihr Buch wurde schon in mehr als 20 Sprachen übersetzt – sogar, wie jüngst in der Brigitte zu lesen war, auf Vietnamesisch. Würde mich mal interessieren, wie denn der Titel da übersetzt wurde und ob die Vietnamesen auch ein Kindereinschlafproblem haben.
Ob und warum die Franzosen nun bessere Kinder haben, kann ich nicht sagen. ich habe das Buch (noch) nicht gelesen, werde aber versuchen, das nachzuliefern. Mein erster Gedanke, als ich davon hörte und las, war meine französische Freundin M. Die erzählte mir bei einem Besuch in Paris, dass ihre Tochter ab dem Zeitpunkt durchschlief, als sie wieder zur Arbeit ging. Wohlgemerkt, das war zehn Wochen nach der Entbindung. Vollzeit. Offensichtlich scheint bei ihr das französische System auch zu greifen.
Glaubt man den ganzen Veröffentlichungen, über die man derzeit stolpert, dann schlafen „les enfants français“ nicht nur schneller und länger durch. Nein, sie benehmen sich auch besser, essen viel mehr Gemüse und sind einfach besser erzogen. Abgesehen davon können bei unseren westlichen Nachbarn die Frauen Job und Karriere bekanntermaßen viel besser vereinen und ohnehin sind die Betreuungsmöglichkeiten sehr viel akzeptabler, was bedeutet, dass die Franzosen sich selbst reproduzieren, wohingegen die Deutschen aussterben.
Also alle auf nach Frankreich? Ich wage ein kleines Veto einzulegen. Ich bin an der französischen Grenze aufgewachsen und kann mich nicht erinnern, dass die Kinder „drüben“, auf der anderen Rheinseite, so viel besser erzogen waren als wir. Sind die deutschen Mütter tatsächlich zu lasch? Im Brigitte-Interview lese ich davon. Und immer wieder die Betreuung. Aber ob es das Maß aller Dinge ist, drei Monate alte Babys schon zur Tagesmutter zu geben, um dann 35 oder 40 Stunden zu arbeiten, das möchte ich wirklich in Frage stellen. Zumindest erinnere ich mich gut an M.s sehnsüchtigen Blick, als wir darüber sprachen, dass dich in Deutschland niemand krumm anschaut, wenn du ein Jahr oder auch länger bei deinen Kindern bleibst.
Was ich auf jeden Fall weiß: Ich sollte dringend dieses Buch von Madame Druckerman lesen.
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