Dagegen sein ist gerade in! In Politik und Gesellschaft, wenn man das mal so verallgemeinern darf, auf jeden Fall. Aber auch der Familienalltag ist von ganz schön vielen Neins geprägt. Trotzphase, allgemeine Unlust, Müdigkeit – die Gründe sind ja vielfältig. Was man da macht? Ein paar Gedanken können zumindest nicht schaden. Ob man dann schlauer ist? Vielleicht nicht. Die Erkenntnis ist sowieso: Am Ende steht ein Kompromiss. Fragt sich nur, wie der aussieht.
Mein Mann hat von vielen Dingen ziemlich klare Vorstellungen und das sagt er dann auch direkt. Er liebt schnelle Entscheidungen und klare Ansagen. Um den Brei herum zu reden ist nicht seins und sein Tempo, ich gebe es zu, überfordert mich manchmal. (Ich liebe dich trotzdem, lieber Mann!). Und da kommen wir auch zum Punkt, denn er hat mich auf ein Thema gebracht, über das ich seitdem nachdenke. Es geht darum, dass viele Menschen dazu tendieren, erstmal gegen etwas zu sein. Oder zu sagen, was sie NICHT wollen. Ohne allerdings klar zu machen, was sie denn stattdessen lieber mögen. Das geht nicht, findet mein Mann. Im Job genauso wie im Privaten. Und ich finde, er hat da schon auch recht.
Denn, wenn man mal genau hinschaut, dann sind diese „Neins“ und „Mag ich nicht“ und „Ich bin dagegen“ ja durchaus ganz schön oft Teil unseres Alltags.
Kinder und gesundes Essen: Da gehört das Nein zum Tisch wie das Besteck
Man kann das ja in ganz viele Lebenssituationen übertragen. Auf Kinder natürlich auch. Gerade auf sie! Wenn das Kind am Tisch sitzt und sagt: Nein, ich mag das nicht essen. Nein, das mag ich auch nicht. Nein, keinen Brokkoli. Nein, keinen Reis. Nein, keine Kiwi. Dann kann man natürlich einwenden: Gut Kind, schön zu wissen. Aber dann sag halt, was du willst und nicht was du NICHT willst. Sicherlich, die Gefahr besteht, dass es dann sagt: Schokolade, Gummibärchen und dann noch zwei Kugeln Eis. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass das gar nicht passiert. Eher kommt dann einfach: nichts. Nur große Kinderaugen. Vielleicht sind unsere Kinder noch zu klein (der Bub sicher, die Madame möglicherweise auch noch, mit 4 Jahren will man halt auch noch angeleitet werden), mag sein.
Aber auch angewandt auf andere Themen: Dagegen sein ist erst mal einfach. Dagegen zu sein ist vor allen gerade sehr en vogue, seitdem die AfD und andere populistischen Parteien es geschafft haben, zweistellige Prozente bei Wahlen zu erreichen, einfach aus dem Gefühl heraus, mal „gegen“ etwas zu sein. Dass man, wenn man schon „Dagegen!“ schreit eigentlich auch sagen muss, FÜR was man dann andererseits ist, das ist wohl aktuell gar nicht so wichtig.
Damals in der Schule: Pro und Contra
Ich erinnere mich noch allzu gut an die Pro- und Contra-Aufsätze in der 5. und 6. Klasse. Das war ja der Versuch, Argumente gegeneinander abzuwägen und das alles in eine sinnvolle Textform zu bringen. Da ging es dann darum, zu argumentieren, welche Gründe für und welche gegen eine Raucherecke im Schulhof sprechen. (Ich würde übrigens gerne mal den Unterstufen-Aufsatz sehen, der zum Schluss kommt, die Raucherecke sei unbedingt einzurichten. Eigentlich ist das im Nachhinein eine ziemlich dämliche Aufgabenstellung, aber glaubt es mir: Ich habe tatsächlich über dieses Thema geschrieben. Natürlich kam ich zum Schluss, dass Rauchen schlecht ist und die Raucherecke deswegen natürlich NICHT gebraucht wird, schon gar nicht für Schüler.). Im Grunde müsste man bei vielen unserer Alltagsthemen so eine Pro- und Contra-Liste anlegen. Im Großen wie im Kleinen. Macht man aber vermutlich wirklich nur bei wirklich wichtigen und großen Entscheidungen.
Und da wir dann vieles eben doch aus dem Bauch heraus entscheiden, ist es eben schnell ausgesprochen: Ich bin dagegen. Unsere deutsche Kultur macht es uns da auch nicht so leicht, einfach mal Dinge anzunehmen. Im Grunde sind wir, glaube ich, einfach ein Volk von „Dagegen-Fans“. Latent motzend, gerne mit hängenden Mundwinkeln ausgestattet und den Zornesfalten schon im Gesicht, wenn es noch gar nichts zum Ärgern gibt. Könnte es aber doch, wer weiß. Schon an der nächsten Ecke könnte es soweit sein.
Von unseren Kindern lernen
Aber nein, das ist jetzt natürlich Klischee und übertrieben. Keiner meiner Freunde ist so. Zum Glück! Aber wir sollten uns doch mal an die Nase fassen, wenn wir mal wieder den Drang verspüren, sofort aufzuspringen und zu sagen: Was? Nein, ohne mich, da bin ich dagegen. Oder wir lernen von unseren Kindern. Die ja auch gerne dagegen sind, siehe Brokkoli, aber ich glaube fast, das könnte ab und an gar kein echtes Dagegen sein darstellen. Sondern fieses Kalkül. Anders kann ich mir es nicht erklären, wie folgender Dialog zustande kommen kann:
Mutter (ich): Heute gibt’s gebackenen Kürbis und Erbsen-Risotto.
Kind (meins): Bäh. Ich mag keinen Kürbis. Und das grüne Zeugs da auch nicht.
Mutter: Ach komm, das schmeckt total gut. Der Kürbis schmeckt fast wie Pommes (ich weiß, diese Eltern-Lüge wird IMMER und SOFORT enttarnt). Probier wenigstens mal!
Kind (laut): Neiheiiiiiiiin. Ich will keinen Kürbis!
Mutter (genervt): Dann sag halt nicht, was du NICHT willst. Sag halt, was du willst. (vom Mann geklaute Taktik)
Kind (verwirrt): Weiß nicht. Das da auf jeden Fall nicht.
Mutter (versöhnlicher): Okay, hör zu. Jetzt nimmst du ein Stück Kürbis und dann noch eine klitzekleine Erbse … (kleiner Seufzer) … und wenn du das gegessen hast, darfst du nachher noch ne Folge Conny anschauen.
Kind (freudestrahlend): Oh ja, toll! Und wenn ich zwei Stücke esse, darf ich dann eine Folge Conny UND eine Folge Lauras Stern anschauen?
Mutter (ergibt sich): Na gut. Aber wirklich nur zwei Folgen dann! Und zwei Stücke Kürbis. Ohne Ketchup!
Das nennt man dann wohl einen Kompromiss. Ich muss dringend Nachhilfe bei meinem Mann nehmen.