„Überall diese Kinderwägen!“ ätzt der Mann, der gerade aus der U-Bahn steigt, und verdreht die Augen. Nein, mich meint er nicht, denn ich habe gar keinen dabei. Aber seine Stimme hat diesen gehässigen Unterton, den ich nur zu gut kenne. Weil ich solche Kommentare auch schon öfter gehört habe. Meistens werden sie nicht offen geäußert, sondern leise gezischelt, und sind dabei doch so klar artikuliert, dass man sie natürlich direkt mitbekommt. Nein, hier schreit natürlich niemand Eltern und ihre Kinder an. Man versucht es lieber hinterrücks. Was mich nicht weniger empört. Im Gegenteil.
In der deutschen Huffington Post las ich vor Kurzem einen Artikel zu dem Thema, wieso Kinder offensichtlich zunehmend nicht wohlgelitten sind. Der Beitrag war ziemlich kurz und auch nicht wirklich spannend oder gut geschrieben, aber immerhin listete er einige Situationen auf, über die ich dann nachdachte. Es ging um Hotels nur für Erwachsene, kinderfreie Flugzeug-Abteile und Restaurants, die Kinder nicht willkommen heißen. Die Idee mit den „Adult only“ Hotels finde ich, die ich viele Jahre in der Touristik gearbeitet habe, nicht weiter schlimm – immerhin gibt es genug Alternativen und tolle Angebote für Familien – da haben Resorts, die sich auf erwachsene Gäste spezialisieren ebenso ihre Daseinsberechtigung wie Hotels, in denen sich meinetwegen alles ums Golf spielen dreht.
Bei den Fliegern wird es schon komplizierter – habe ich ein Anrecht darauf, in meinem Sitzbereich Ruhe zu haben, ohne dass zwei Reihen vor mir ein Kind quengelt? In deutschen Zügen gibt es die wunderbare Einrichtung der Kleinkindabteile – die ich schon sehr ausgiebig genutzt habe. Da finde ich es einen Segen, nicht im Großraumabteil sitzen zu müssen, weil ich entspannter bin, mein Kind und die anderen Reisenden ebenso. Aber im Flieger, wo ohnehin alles so gedrängt ist – wie soll das da gehen? Natürlich könnte man die Buchungen so verteilen, dass eben in einem bestimmten Abschnitt eher die Familien sitzen und spezielle „Ruhezonen“ anbieten, in denen man sich separat einbuchen kann (wäre ja auch eine neue Einnahmequelle in Zeiten, in denen die Airlines ohnehin für jeden Einzelservice Extra-Gebühren erheben). Aber ob das dann auch immer so hinhaut in einer Economy Class, die ohnehin durchlässig, ohne Türen und eng auf eng konzipiert ist – fraglich.
Grundsätzlich bin ich ja der Meinung, dass sich, wer sich im öffentlichen Raum bewegt, auch der Öffentlichkeit stellen muss. Und dazu gehören unfreundliche Mitmenschen genauso wie solche mit Körperausdünstungen oder sonstigen unangenehmen Eigenschaften – und eben auch Kinder. Und genau da liegt ja die Krux. Menschen wie der U-Bahn-Zischler sind eben der Meinung, man solle Kinder, vor allem diejenigen, die noch so klein sind, dass sie halt einfach schreien und quengeln und sorglos plappern, der Öffentlichkeit lieber vorenthalten. Ebenso wie die Utensilien, die es benötigt, um die Kinder zu transportieren. Also die Kinderwägen, Buggys, Kraxen und so weiter. Denn die sind sperrig und nehmen Platz weg und werden gerade in vollen Verkehrsmitteln daher oftmals argwöhnisch bis feindselig betrachtet.
Zu dem Umfeld der Kinderwagen-Problematik gehören auch die Schilder am Eingang von Restaurants und Cafés, die mal mehr, mal weniger freundlich darauf hinweisen, Kinderwägen seien drinnen nicht gestattet, erwünscht, willkommen. Ach, könnte ich Geschichten erzählen von Situationen, in die man mit einem Kinderwagen (und seinem Inhalt) hineingeraten kann! Schnippische Kommentare, böse Blicke – man merkt schnell, wo man gerne Gast ist, und wo nicht.
Übrigens habe ich die Erfahrung gemacht, dass das alles nicht in italienischen Restaurants gilt – in Deutschland und in Italien sowieso. Südeuropäer sind ja grundsätzlich als kinderfreundlich bekannt und ich glaube, die größte Liebe zu den „Bambini“, die entwickeln tatsächlich die Italiener. Ich finde es immer so unglaublich rührend, wie man schon begrüßt wird, wenn man mit Kind ankommt. Da werden Türen aufgehalten, Tische wie selbstverständlich zusammengeschoben und die Kleinen gleich mal geherzt und geknufft (okay, ob man das dann mag, ist dann wieder eine andere Frage). Kinderschrei ist völlig normal und wird grundsätzlich einfach ignoriert – weil es eben dazugehört. Andere Kinder setzen sich einfach zu den eigenen an den Tisch? Sie essen mit den Fingern und kleckern alles voll? Kein Problem!
Ich liebe das, denn es entspricht genau meiner Vorstellung dessen, wie man mit Kindern umgehen sollte: Natürlich und unverkrampft, weil sie eben Teil des Lebens sind und man sich einfach freut, wenn sie glücklich und fröhlich und einfach ganz normale Kinder sind. Da werden keine Augenbrauen hochgezogen, da wird nicht getuschelt und gezischt, da wird nicht hysterisch gestöhnt und genervt geseufzt. Kinder sind eine Bereicherung. Auch wenn man sich mit ihnen in der Öffentlichkeit zeigt. Basta!
Und bei uns? Nun ja. Beispiele dafür, wie unfassbar unfreundlich man behandelt werden kann, gibt es genug. Leider scheint es mir oftmals wirklich so zu sein, dass Kinder eben nicht als Bereicherung, sondern als Last angesehen werden. Jeder weiß, dass irgendwer Kinder bekommen sollte, damit unser Land dann doch nicht ausstirbt und sich jemand um die Rente kümmert, aber bitte nicht die Leute, denen man so täglich begegnet. Aber: Es ist halt eine Tatsache und eine Notwendigkeit, dass man mit Kind am sozialen Leben teilnimmt. Vor allem in der Stadt. Ich weiß nicht so genau, was meine Mutter mit uns Kindern angestellt hat früher, wo wir waren, wenn sie mal einkaufen war, beispielsweise. Ich weiß aber genau, dass sie mit uns sicherlich nicht den Nachmittag ratschend im Café verbrachte. Nun. Meine Eltern wohnen auf dem Land in einem 2400-Seelen-Dorf und sie gehen auch heute noch nicht ins Café zum Ratschen. Das ist eine völlig andere Welt.
Aber meine Welt, die besteht schon aus Cafés, denn sie liegen direkt vor meiner Haustür. Und ich sehe es als selbstverständlich an, dass ich dort auch hingehe. Genauso wie zum Einkaufen ums Eck oder zu Besuch bei der Freundin, zu der ich dann mit der U-Bahn oder dem Bus fahre. Quer durch den öffentlichen Raum. Ich gebe zu, mit der Zeit und der Erfahrung wird man schlauer und abgebrühter. Man weiß, zu welcher Tageszeit man stressfrei die Straßenbahn benutzen kann und wann nicht. Man lernt, dass man sein Kind durchaus auch mal schlafend draußen im Kinderwagen vor der Tür stehen lassen kann, selbst im Winter. Und dass das manchmal sogar die bessere Alternative ist (wenn der Kinderwagen direkt sichtbar vor der Glasscheibe steht), statt sie ins laute und stickige Café zu zerren. Man lernt den Sommer noch mehr zu schätzen, weil man dann einfach draußen Platz nehmen kann, den Kinderwagen neben sich und alles ist gut.
Und egal, ob man jetzt meint, die Mütter von heute säßen sowieso viel zu viel rum und würden zuviel Kaffee trinken, die sollten doch lieber mal was Vernünftiges tun – arbeiten zum Beispiel (aber das ist wieder eine andere Thematik, die ich hier nicht auch noch aufmachen werde) oder ob man es ihnen gönnt und ihren Kindern auch, dass sie mal rauskommen aus der Bude: Es geht ja darum, wie unsere Gesellschaft mit Kindern und ihrem Wesen generell umgeht. Und das ist in vielen Fällen wirklich heikel. Die Frage ist nur: Warum? Warum sehen so viele Menschen Kinder als Nerv-Faktor an? Sind die alle schon zwanzigjährig auf die Welt gekommen und habe alle Phasen davor übersprungen? Ist es einfach die deutsche Mentalität, sich darüber aufzuregen, wenn jemand Spaß am Leben hat und das auch etwas lautstark zum Ausdruck bringt?
Pauschalisieren möchte ich hier nicht, aber ich merke, wie der zwischenmenschliche Wind manchmal schon ganz schön kühl ist. Und wer meint, das wären jetzt alles Senioren, die sich echauffieren, weil die Kinder im Hinterhof toben und beim Mittagsschläfchen stören, dem kann ich sagen: Mitnichten. Die größten Fans meines Kindes sind grundsätzlich ältere Damen – die lassen sich von einem kleinen zweijährigen Mädchen nämlich unwahrscheinlich gerne um den Finger wickeln.
Wohingegen folgende Anekdote das Dilemma wohl ganz gut zusammenfasst und einen wunderbaren Abschluss für diesen Text bildet:
Anfang August war ich zusammen mit den Kindern von Teresas Krippengruppe und den Erzieherinnen im Zoo. In diesem schwindligen Münchner Sommer hat es natürlich ganz fürchterlich angefangen zu regen – Flucht ins Affenhaus. Dort war’s trocken, die Kids bekamen ihre Brotzeit und fingen natürlich an zu toben, zu rennen, ein bisschen wild zu sein. Ja, es war auch ein bisschen laut. Es war aber sonst niemand da, also perfekt. Bis dieser etwa 18-jährige, schmalbrüstige und weißgesichtige Typ mit seiner Freundin (wo er die wohl her hatte?) sich in diesen abgelegenen Teil des Affenhauses verirrte, kurz vor den Meerkatzen stehen blieb, sich dann uns zuwandte und sagte (blasierten Tonfall hinzudenken): „Könnten Sie bitte die Kinder mäßigen. Ich bin schließlich in den Zoo gekommen, um in Ruhe die Tiere zu betrachten.“ Ich vermutete im ersten Moment eine versteckte Kamera, mit der gleich jemand aus der nächsten Ecke gesprungen käme. Passierte aber nicht. Der hatte das ernst gemeint. Und ich wusste gar nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.
Ich entschied mich fürs Lachen. Aber irgendwie fühlte sich das ganz schön schal im Hals an.
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