Ich sehe mich noch genau. Damals im Sommer vor beinahe drei Jahren. Verspannt, frustriert, den Tränen nahe. Mein Baby war vier Tage alt und ich konnte nicht richtig stillen. Ich hatte es versucht, tagelang, im Krankenhaus, aber es wollte einfach nicht recht klappen. Meine Brustwarzen waren wund und aufgerissen, jedes Anlegen schmerzte wie tausend Nadelstiche. Ich heulte vor Schmerz und Frust. Hatte schon fast aufgegeben. Die elektrische Milchpumpe stand schon neben mir und schien mir zuzuflüstern: Dann nimm halt mich. Besser als nichts.
Charlotte hat mich gerettet. Sie hat mir klar gemacht, dass diese Probleme völlig normal sind. Dass ich nicht die einzige Frau auf der Welt bin, der es so geht. Sondern eine von ganz vielen. Sie hat mir gezeigt, wie es funktioniert mit dem Stillen. Sie hat mich beruhigt mit ihrer unglaublich sanften, relaxten Art. Schmeiß die Milchpumpe ins Eck, sagte sie, das kannst du auch ohne. Ich habe ihr viel zu verdanken. Eine innige, fast zehnmonatige Stillzeit, die es ohne sie wohl nicht gegeben hätte. Vertrauen in mich selbst. Etwas mehr Gelassenheit im Umgang mit dem Neugeborenen.
Charlotte war meine Hebamme.
Vier Tage vorher, in den schlimmsten Wehen unter der Geburt, war mir erst so richtig bewusst geworden, welch unglaublich wichtige Arbeit Hebammen verrichten. Ich wusste plötzlich nichts mehr. Mein Kopf war hohl, völlig unfähig noch etwas zu entscheiden. Alles in mir war nur noch Schmerz und der unendliche Wunsch, dass das einfach nur aufhören sollte. Die beiden Hebammen, älter und erfahren die eine, jung und zupackend die andere, haben mich durch die Geburt begleitet, haben mich angewiesen, was zu tun ist, haben mich gehalten, mich gestützt und mir Mut zugesprochen. Ich kann kaum in Worte fassen, wie unglaublich groß ihr Anteil daran war, dass die Geburt meiner Tochter, meines erstes Kindes, eine so wundervolle Erfahrung war. Trotz aller Schmerzen.
Beim zweiten Kind war alles entspannter. Man weiß ja schon ein bisschen was. Die Erfahrung macht gelassener. Doch am Tag nach der zweiten Geburt, die so schnell passierte, dass ich es fast nicht mehr in die Klinik geschafft hätte, kamen die Gedanken. Hätte ich das alleine gepackt? Ohne Unterstützung? Da war sie wieder die Erkenntnis: Es geht einfach nicht ohne Hebamme.
Und doch wird fleißig daran gearbeitet, diesen unfassbar schönen Beruf nach allen Kräften zu demontieren. Die Haftpflichtbeiträge für Hebammen steigen in absurde Höhen, gleichzeitig werden Krankenkassenleistungen rund um die Geburt gekürzt. Wer Geld hat, soll das halt aus eigener Tasche bezahlen, wenn er Extras bei der Geburt haben möchte. Gut bezahlt war der Beruf noch nie. Das Schicksal auch anderer Pflege- und sozialen Berufe.
Vielleicht mag es ja so sein, dass manches an den Kürzungen und Anhebungen aus wirtschaftlichen Gründen auf den ersten Blick sinnvoll erscheint. Mag sein, dass es in Deutschland vergleichsweise wenige Frauen gibt, die sich für eine Hausgeburt entscheiden (um die es ja vordergründig immer zu gehen scheint … aber wenn man dann mal tiefer gräbt, dann geht es doch um so viel mehr). Mag sein, dass das Gesundheitswesen längst selbst zum Patienten geworden ist und dass wir uns eben darauf gefasst machen müssen, dass Leistungen gekürzt werden. Oder einfach alles teurer wird. Mag sein. Es gibt immer Gründe.
Nur, was bleibt bei diesem ganzen Dilemma? Eine simple Message: So wichtig sind die Hebammen doch gar nicht. Zur Not geht’s auch ohne. Für was gibt’s Ärzte. Und in den Kliniken, da wird das alles schon gerichtet. Sollen sich die Schwangeren doch nicht so anstellen. Ist schließlich noch kein Kind drin geblieben. Spitz formuliert. Vielleicht immer noch nicht spitz genug.
Denn euch allen, die ihr vielleicht so denken mögt, ich sage euch: Nein. Es geht eben nicht ohne. Das Problem ist, dass man die essenzielle Erfahrung einer Geburt braucht, um das zu verstehen. Denn wer einmal erlebt hat, wie Hebammen arbeiten und wie unglaublich wichtig sie während und nach der Geburt sind, der weiß ganz einfach, dass es ohne sie nicht geht. Und dass wir sie auf Händen tragen sollten, statt diesen Berufsstand mit Füßen zu treten.
Es ist eben nicht egal, auf welche Weise ein Kind auf die Welt kommt. Weder für das Kind noch für die Mutter. Und auch nicht für den Vater. Natürlich gibt es nette Hebammen und solche, mit denen man einfach nicht warm wird. Man hat nicht immer das Glück, eine persönliche Beziehung zur „seiner“ Hebamme zu haben, zumal in einer Klinik. Meine Freundin K. hat aus dem Grund ihre drei Kinder tatsächlich zuhause bekommen. Ihre Hebamme ist mittlerweile eine gute Freundin. Ich wollte gerne in einer Klinik entbinden, weil es mir wichtig war, dass alles in nächster Nähe ist. Das war beim ersten Kind. Bei dem man viel ängstlicher ist, natürlich. Und weil ich dann eine solch wunderbare Erfahrung machen durfte, stand auch beim zweiten Kind sofort fest, dass ich wieder in die Klinik gehe. Andere Frauen bevorzugen ein Geburtshaus, quasi als Zwischending zwischen Klinik und zuhause.
Wie man (frau sollte ich vielleicht sagen) sich auch entscheidet: Ich finde es wichtig, DASS man sich entscheiden kann. Eine Geburt ist solch ein einschneidendes Erlebnis im Leben – das ist nicht einfach irgendein Arzttermin. Und da in diesem Land immer wieder sehr laut darüber nachgedacht wird, warum nur zum Teufel so wenige Kinder auf die Welt kommen, kann ich nur sagen: Wer so grundlegend immer wieder auf allem herumtrampelt, was für Familie, Elternsein und Kinder steht, der braucht sich nicht zu wundern. Das gilt für den Umgang mit den Hebammen genauso wie für den grundsätzlichen Stellwert von Kindern in unserer Gesellschaft (wer mehr dazu lesen mag, der schaut hier mal vorbei).
Wir sollten nicht vergessen: Auch zu Beginn unseres eigenen Lebens stand die Geburt. Ich denke, wir wären alle froh zu wissen, dass wir damals in guten Händen waren, die uns fachkundig und voller Empathie ins Leben gehoben haben.
Danke Charlotte. Danke Sophie. Danke an die Hebammen der Frauenklinik in der Maistraße. Dafür, dass ihr meinen beiden Kindern einen wundervollen Start ins Leben geschenkt habt. Und danke an all die anderen Hebammen, wo auch immer auf dieser Welt. Im Namen der Mütter, der Väter und der Kinder. Lasst euch nicht unterkriegen.
3 comments
Sehr schöner Text! Ich hatte selbst sehr viel Glück mit meiner Hebamme (sowohl im Krankenhaus als auch in der Nachsorge). Vor allem meiner Nachsorgehebamme kann ich nicht oft genug Danke sagen. Wenn ich mitbekomme wie Freundinnen in München gerade darum kämpfen überhaupt eine Hebamme zu bekommen, dreht sich mir der Magen um. Der Brief an die Krankenkasse zu dem Thema ist schon verfasst und geht noch am Wochenende raus ;)
Liebe Nikola, vielen Dank! Ja, die Situation in München ist echt krass. Da kommt zu dem Hebammenmangel noch hinzu, dass einfach unglaublich viele Kinder geboren werden. Das verschärft die Situation natürlich noch mehr. Im Grunde kannst du, sobald du einen positiven Test hast, direkt bei der Hebamme anrufen. Dann hast du noch ne realistische Chance. Klingt übel, ist aber so. Meine Nachsorgehebamme hat mir im Dezember, als sie mich betreut hat, erzählt, dass sie erst wieder ab August was frei hat. Das bedeutet tatsächlich, dass du nach einem positiven Test erstmal die Hebamme anrufst. Und dann vielleicht deinen Mann und deine beste Freundin. Klingt überspitzt, aber es scheint immer schlimmer zu werden. Und du darfst dir sicher sein: Ab dann geht der Wettkampf um die freien Plätze los: Erst die Hebamme, dann ein freier Platz im Kreißsaal (ich habe Freundinnen, die haben in einem Besprechungszimmer entbunden), dann ein Krippenplatz, ein Kindergartenplatz, einen Schulplatz (selbst das scheint es zu wenig zu geben), einen Hortplatz („die Königsdisziplin“, wie es eine Freundin kürzlich nannte). Ich liebe München, aber das mag ich überhaupt nicht an dieser Stadt: Dass es von allem zu wenig gibt (von bezahlbaren Wohnungen mal ganz zu schweigen). Sorry, ich schweife ab ;-) Tolle Aktion mit deinem Brief! Ich werde das auch machen. Lieben Gruß!
Danke kann man nicht genug sagen! Die geburt ist so ein wichtiger Zeitpunkt für die ganze Familie und für die Frau eine starke Erinnerung, die bis Ende ihres Leben präsent und sehr wichtig bleibt. DIe Arbeit der Hebammen ist unglaublich schön, aber auch unglaublich schwer. Das muss man schätzen, nicht runterkriegen… Danke für den schönen Artikel!
Viele Grüße, Dominika