Wenn ich die Geschichte zu unserem Urlaub erzähle, der soeben zu Ende gegangen ist, dann ist es die Geschichte über zwei Wochen voller Stranderlebnisse, glänzender Kinderaugen und schöner Momente mit guten Freunden. Es ist die Geschichte einer wunderbaren Zeit im allerliebsten meiner Lieblingsländer, Italien nämlich. Es ist die Geschichte der Entdeckung einer völlig neuen Region in diesem Italien und vermutlich der Beginn einer neuen Liebe, zwischen mir und Sizilien.
Aber zu allererst ist dies ist auch eine traurige Geschichte, der ich in diesen Tagen nicht entkomme, und deswegen muss ich sie erzählen. Zuerst, vor allem anderen. Das andere wird noch kommen, mein Kopf ist so voller schöner Eindrücke, die mag ich euch nicht vorenthalten. Aber zuerst muss ich euch eben von dem erzählen, was mich in diesen Tagen so sehr beschäftigt.
Das große, weite Meer
Es hat zu tun mit diesem Abend am Meer. Die großen Kinder, der Mann und die Freunde waren noch weg, sie waren zu einem Aquapark in der Nähe von Catania gefahren, die Kinder hatten es sich so sehr gewünscht. Ich blieb mit dem Babybub im Ferienhaus, wir hatten den Tag vertrödelt, waren Kaffeetrinken in der Strandbar, lagen auf der Terrasse im Schatten und als es langsam Abend wurde und das Licht weicher, gingen wir nochmal hinunter zum Strand. Ich setzte mich auf eine Liege, den Bub auf dem Schoss und wir schauten aufs Meer.
Wenn du am südlichen Zipfel von Sizilien aufs Meer schaust, dann ist da am anderen Ende des Meeres ziemlich genau der Ort, an dem in diesen Tagen so viele Menschen wieder in Schlauchboote steigen, um genau dorthin zu gelangen, wo wir Urlaub machten.
Der Strand. Die Schiffe. Und die Gedanken.
Dieser Gedanke lässt mich seitdem nicht mehr los. Ich habe fast zwei Wochen auf dieses Meer geschaut und sah stets nur einen perfekten Strand, ich sah die Wellen, in denen wir badeten und surften. Dieses Gefühl nach Sommer, wenn das Salzwasser langsam auf deiner Haut trocknet, wenn deine Haare jeden Tag heller werden, die Sommersprossen dunkler. Niemals habe ich daran gedacht, dass gar nicht so weit von uns entfernt Menschen ertrinken. Seit diesem Abend ist es anders.
Unsere erste Urlaubswoche war auch jene, in denen zwei Schiffe mit aus Seenot geretteten Menschen darauf die Häfen nicht mehr anfahren durften. Das eine davon landete schließlich in Pozzallo, keine 30 Kilometer entfernt von Donnalucata, wo unser Ferienhaus stand. Das andere, die Lifeline, dufte dann nach Malta fahren, wurde dort festgesetzt, der Kapitän steht jetzt vor Gericht. Sein Vergehen: Er hat Menschen vor dem Tod gerettet. Einige unserer Politiker hier in Deutschland finden das offenbar gut so.
So richtig bewusst wurde mir all das erst jetzt, nachdem wir wieder zuhause sind. Und es trifft mich mit Wucht.
Es ist ja nicht neu
Es trifft mich, wie es mich vor drei Jahren getroffen hat, als wir in Europa anfingen, uns mit dem Thema der Flüchtlingsproblematik auseinander zu setzen, weil diejenigen, die kamen eben einfach immer mehr wurden und man das nicht mehr ignorieren konnte. Es war ja nicht so, dass es vorher keine Migration gegeben hätte. Nur taten uns die den Gefallen, nicht zu sehr aufzufallen. Weil sie einfach ertranken oder in den Ländern am südlichen Rand Europas stecken blieben.
Seit 2015 aber ist das anders, seitdem ist es ein „Problem“ und man hat sich in Europas Gesellschaft offensichtlich dafür entschieden, dieses Problem nicht mit Menschlichkeit und Vernunft anzugehen und zu lösen zu versuchen, sondern mit der Brechstange des Populismus. Wer am lautesten schreit, hat Recht. Und wer am unmenschlichsten schreit, ist der Gewinner, dem jubeln nun alle zu. So scheint sich das langsam durchzusetzen.
Und ich frage mich, ob die Menschen, die derzeit in ihrer hysterischen Angst vor allem Fremdem an nichts anderes mehr zu denken scheinen zu können, schon immer so waren. Oder ob sie mit den feinen Instrumenten der Propaganda einfach so lange bearbeitet wurden, bis sie all das glauben, was man ihnen derzeit erzählt und einfach nicht merken, für welche Machtspiele sie instrumentalisiert werden.
Hilflosigkeit und Wut sind keine gute Kombi
Ich erkenne mein Land nicht wieder, ich erkenne Europa nicht wieder, ich erkenne mein Leben als Teil dieser Gesellschaft nicht wieder. All das macht mich gerade so furchtbar müde. Seit diesem Abend am Meer vermischt sich das Gefühl der Hilflosigkeit in mir wieder mit dem Gefühl von Wut, und diese hilflose Wut ist kein besonders guter Begleiter. Natürlich sagt die Vernunft, dass es unmöglich ist, all den Menschen, die kommen wollen, das zu geben, was sie sich erhoffen und erträumen.
Doch die Art und Weise, wie wir alleine schon über sie sprechen, bricht mir das Herz. Als seien sie keine Menschen, sondern Gegenstände, die man nach Gutdünken hin und her schieben kann. Denen man unterstellen kann, sie betrieben „Asyltourimus“, was für ein perfides, beleidigendes Wort. Gesprochen aus einem Selbstverständnis, das sich seit den Zeiten des Kolonialismus kaum geändert zu haben scheint. Voller Hochnäsigkeit und Arroganz und auch voller Unfähigkeit, über den eigenen kleingeistigen Tellerrand zu blicken.
Was ich so gerne sagen würde
Ich würde ihnen so gerne zurufen, den Seehofers und Söders und Salvinis, dass keine Mutter auf der Welt ihr Kind in ein windiges Schlauchboot setzt, wenn sie nicht einen Funken Hoffnung hat, dass sich all die Angst, all die Gefahr, all die Tränen irgendwie lohnen würden. Und ich würde den Müttern, den Vätern, die all diese unvorstellbaren Strapazen auf sich nehmen gerne zurufen, dass sie lieber in ihrer Heimat bleiben sollen, wenn es denn irgendwie geht. Ihre Kinder dort zur Schule schicken, zur Uni, in eine Ausbildung. Und ihnen beibringen, dass auch sie etwas wert sind, nicht nur diejenigen mit der weißen Haut, die meinen, die Weisheit und die Kontrolle über das, was richtig und falsch ist, für sich gepachtet zu haben.
Denn das wäre doch vielleicht so viel besser als das Elend, das sie hier erwartet. Kommt nicht! würde ich ihnen sagen, auch wenn ihr das vielleicht zuerst nicht glauben wollt. Aber Europa ist nicht das, was ihr euch darunter vorstellt. Europa hat ein kaltes Herz und all diejenigen, die es mit Wärme füllen wollen, werden zur Zeit umgeweht von diesem düsteren Sturm, der sich über uns alle gelegt hat.
Nichts tun zu können ist das Schlimmste
Aber was weiß ich schon. Ich bin niemals dort gewesen, wo sie alle herkommen, ich kenne ihre Gründe nicht und wenn es nur der ist, dass es hier alles im Überfluss gibt, was sie gerne hätten … Wer bin ich darüber zu richten, dass ich all das haben darf und andere nicht.
So sitze ich am Meer und schaue zum Horizont, wo vielleicht gerade wieder Menschen in ein Boot steigen, wo vielleicht gerade ein Kind ins Wasser fällt und ertrinkt, während ich meines sicher und warm auf meinem Schoß halte. Ich würde gerne so vieles sagen, aber ich bleibe stumm.
Und weil ich sonst nichts anderes tun kann als darüber zu schreiben, weil das meine Stimme ist, erzählt diese Geschichte nicht von den schönen sonnigen Momenten. Sondern davon, dass es uns gut zu Gesicht stünde, endlich einmal hinter den Horizont zu blicken. Nicht als Deutsche. Nicht als Italiener. Nicht als irgendeine andere Nation, die sich gerade alle hinter ihren Zäunen und Mauern verschanzen wollen.
Sondern als Menschen.