Dieser Text erschien zuerst als Kolumne im Zwergerl Magazin. In jeder Ausgabe schreibe ich dort über den Alltag als Dreifach-Mama – was mich bewegt, was mich berührt und was uns so begegnet auf dieser wunderbaren Reise, die wir gemeinsam im Familienuniversum unternehmen dürfen.
Die Sommerferien sind immer die Zeit, in der man sich gern an seine eigene Kindheit zurückerinnert. An Tage im Freibad, mit dem Geruch von Chlor und Pommes in der Nase, an die Abende draußen auf der Straße, wo wir Fußball spielten und Tennis (oder zumindest das, was wir dafür hielten), bis die Nacht auch das letzte Licht der Dämmerung geschluckt hatte. An die ersten heimlichen Zigaretten im Gebüsch am Baggersee, die erste Schwärmerei, nächtliche Zelt-Aktionen im Garten und Fahrten quer durch Frankreich und Italien mit der Familienkutsche, immer der Nase nach und immer dem Meer entgegen.
Die Sache mit der Zeitmaschine
Es sind wunderbare Erinnerungen, die ich an die Sommer meiner Kindheit und Jugend habe. Niemals möchte ich sie missen. Und wenn ich jetzt als Mama mit meinen Kindern in den Ferien bin, dann ist es manchmal so, als ob ich in eine Art Zeitmaschine geraten wäre. Zurück in die Achtziger. So schnell kann es gehen.
In diesen Sommerferien haben wir meine Eltern besucht, die immer noch dort wohnen, wo ich aufgewachsen bin. In einem kleinen Ort nahe der französischen Grenze, zwischen Schwarzwald und Elsass, wo die Menschen diesen breiten Singsang in der Stimme haben, der sich immer so freundlich anhört. Das Freibad um die Ecke sieht immer noch so aus wie vor 30 Jahren. Als wäre die Zeit stehen geblieben zwischen dem Sprungturm und den 70er-Jahre-Fliesen. Selbst der Bademeister war bis vor Kurzem noch derselbe.
Der Kiosk verkauft immer noch Bum BumEis, dessen rote Glasur immer noch genauso ekelhaft schmeckt wie damals. Natürlich wollen meine Kinder Bum Bum Eis. Und natürlich schmeckt es ihnen nicht. Im Grunde wollen alle immer nur den Kaugummi-Stiel.
Also wie war das damals?
Wenn ich also an den Orten meiner Kindheit bin, und dieses warme Gefühl der Erinnerung im Bauch habe, frage ich mich manchmal, ob einem der Kopf da nicht doch einen Streich spielt. Erinnerungen sind meistens schön. Da ist immer schönes Wetter, wir Kinder durften immer alles und ich hab im Gedächtnis, dass wir nie Stress mit unseren Eltern hatten. Was natürlich nicht stimmt (vergleiche oben: die heimlichen Zigaretten im Baggersee-Gebüsch). Genauso wie so manches andere Detail, das der Erinnerung dann wohl doch flöten geht.
Denn auch in meiner Kindheit gab es Regentage, auch im Sommer. Die Schwimmbad-Pommes waren schon damals labbelig. Und der Bademeister hat ständig gepfiffen. Man musste Bademützen tragen – weswegen diejenigen immer die Deppen waren, die von ihren Eltern die uncoolen Mützen aus Stoff mitbekamen und nicht die Coolen aus Gummi, auf denen man dann mit Edding Unterschriften sammeln konnte.
So wie mit dem Freibad ist das wohl mit so manchen anderen Dingen im Leben. In der Erinnerung sind sie toll. Damals, als wir noch keine Kinder hatten! Oh, das war Freiheit pur. Wirklich? Wenn ich scharf nachdenke, fällt mir ein, dass ich ständig unbezahlte Überstunden geschoben habe und selten vor 20 Uhr zuhause war. Die Urlaube als Paar! Herrlich entspannend. Aber Moment, haben wir da nicht doch das ein oder andere Mal gestritten? Ja, so wird das wohl gewesen sein. Hatte es nur kurz verdrängt.
Das allerbeste Archiv der Welt ist nicht digital
Andererseits ist es aber auch schön, Erinnerungen zu haben, die einfach nur in unseren Köpfen existieren. Ich bin mir nämlich nie so ganz sicher, ob wir uns mit unserem digitalen Fotowahn einen Gefallen tun. Jede Sekunde unseres Lebens ist mittlerweile dokumentiert. Was war nochmal am 23. Mai 2019? Ich schau mal ins Fotoarchiv. Ich finde, da geht etwas Wichtiges verloren: Die Erinnerungen, die man in seinem Herzen trägt. Diejenigen an all die besonderen Momente des Lebens. Die Abende als Kind mit dem Ball auf der Straße. Der erste Flirt im Freibad. Der Geschmack von Salz zwischen den Lippen an einem Strand irgendwo in Frankreich. Oder Italien. Wo genau das war? Weiß ich gar nicht mehr. Aber ich weiß, dass ich unglaublich glücklich war.
Und wenn ich nun durch das Freibad meiner Kindheit gehe, dann rieche ich den Chlor und die Pommes und ich bin sofort zurück in der Vergangenheit. Ich bin wieder acht Jahre alt und steh auf dem Sprungturm, unter mir das blaue Wasser im Becken mit den 70er-Jahre-Kacheln. Ich stehe da für einen kurzen Moment, dann schließe ich die Augen und springe.
Das erste Mal vom Drei-Meter-Turm. Ich hab mich getraut. Und es fühlt sich an als sei es gestern gewesen. Auch 30 Jahre später. Denn das Herz vergisst niemals. Und es braucht dazu keinen Auslöser an der Kamera und erst recht keinen Instagram-Post.
Alle meine Kolumnen findet ihr übrigens hier auf dem Blog unter dem Stichwort „Kolumnen“. Oder ihr lest mal diesen ganz frühen Text von mir. Damals fing ich an zu begreifen, wie wichtig dir deine eigene Heimat wieder wird, sobald du selbst Kinder hast.