Eigentlich sollte es ein ganz normaler Großelternbesuch werden. Ein paar Tage in die alte Heimat, ein bisschen entspannen und Oma und Opa passen aufs Kind auf. Aber dann war da dieser Stuhl. Da hast du auch mal dringesessen, sagt mein Vater stolz. Ich blicke auf das Siebzigerjahre-Relikt in orange-grün-weiß. Und dein Bruder dann auch, fügt er hinzu. Teresa lässt sich gerne hineinsetzen und juchzt ihren neuen Teddy an, den mein Vater in irgendeinem Schrank gefunden hat.
Tags drauf holt er ein schon längst verschollen geglaubtes Bobby Car vom Dachboden. Die Hupe ist kaputt, zumindest quäkt sie nur noch leise vor sich hin. Haben wohl schon zu viele Kinderhände drauf rumgedrückt. Aber sonst ist das Teil einwandfrei in Schuss. Das Kind guckt erst ein bisschen skeptisch, lacht dann begeistert und lässt sich durch die Gegend rollern. Cool, ein echter Oldtimer! schreiben gleich die Freunde und der Papa, denen ich begeistert ein Foto schicke.
Ja. Ein Oldtimer. Genauso alt wie ich. In meinem Babyalbum kleben Bilder, die mich mit dem Ding zeigen, an meinem ersten Geburtstag. Bin ich jetzt auch schon ein Oldtimer? Das Ding ist fast 35 Jahre alt! Plötzlich sehe ich überall Vergangenheit. Ich gehe durch das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, und versuche mich zu erinnern, wie das war.
Es ist Sommer und es riecht auf einmal wie damals. Dieser ganz spezielle Duft nach den Sommern der Kindheit. Nach Sonnencreme auf der Haut und Schwimmbad-Chlor, nach Pommes mit Curry und den Pflastern auf den aufgeschlagenen Knien. Nach Hitze und Heu und Wiesenblumen. Ich radle ins Freibad, wo wir manchmal die kompletten Sommerferien verbrachten und stelle fest, dass dort immer noch die gleichen orangefarbenen Umkleidekabinen auf der Wiese stehen. Eine neue Rampe haben sie gebaut und auch einen Lift für Rollstühle gibt es jetzt. Und sonst ist alles wie immer.
In diesen Tagen voller Sonne und Sommer wird die Welt prilblumen-bunt, orange und grün wie mein alter Kinderstuhl. Die Kirchturmuhr läutet im Viertelstundentakt, doch die Welt wird irgendwie langsamer. So fühlt sich also Retro an. Sage ich leise zu mir und bin ungemein dankbar, dass ich meiner Tochter etwas davon weitergeben kann. Nicht nur alte Stühle und Bobby-Cars. Sondern gemeinsam an einen Ort zu reisen, von dem ich dachte, es gäbe ihn schon gar nicht mehr.
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