Der Spiegel widmete kürzlich seine Titelgeschichte dem „Sorgenkind“ Familienpolitik. Dass die Mehrzahl der finanziellen Leistungen für Familien in Deutschland eher kontraproduktiv und vergeudetes Geld sind, ist jetzt auch schon fast ein alter Schuh, da kramt die Studie, die dem Artikel zugrunde liegt nichts grundlegend Neues hervor. Mehr Krippenplätze braucht das Land! Sagt der Spiegel. Stimmt ja auch. Irgendwie. Und irgendwie auch nicht.
Fast zeitgleich erschien im Wochenendteil der Süddeutschen Zeitung ein bemerkenswerter Artikel zum Thema „Krippenlüge“. Der bringt das Dilemma noch viel besser auf den Punkt. Denn es geht ja nicht nur darum, dass jedes Kind einen Krippenplatz findet und damit „verräumt“ ist, so dass die Eltern, also in den meisten Fällen die Mütter, wieder sorgenfrei ihrem Beruf nachgehen kann.
Es schwingt noch viel mehr nach: Es geht um den generellen Stellenwert, den man als Eltern im Berufsleben hat. Ich weiß nicht, wie oft ich schon Sätze gehört habe wie „Jetzt bekomme ich schon wieder eine Mutter in meine Abteilung!“ Garniert mit einem großen Seufzer und dem Hinweis, dass das alles ja nicht mehr machbar sei mit den ganzen Müttern – wollten alle nur Teilzeit arbeiten und ständig seien die Kinder krank. Und so weiter.
Gegen solche Ansichten kann ein Krippenplatz alleine wenig ausrichten. Denn ich will ja keine Aufbewahrungsanstalt für mein Kind, wo ich es frühmorgens abgebe, abends abhole und dann sofort ins Bett bringe. Ich will schließlich auch Zeit mit ihm verbringen. Will es aufwachsen sehen, mit ihm spielen, für es da sein. Deswegen hilft es mir wenig, dass ich demnächst einen Rechtsanspruch auf eine Betreuung habe.
In Deutschland sind Beruf und Familie scheinbar zwei Planeten, die oftmals nebeneinander herschweben, aber keine gemeinsame Umlaufbahn haben. Man lebt entweder in der einen Blase oder in der anderen. Und es gilt immer noch das eiserne Gesetz: Wer lange arbeitet, arbeitet gut. Dass man, wie es offensichtlich in Skandinavien praktiziert wird, um 16 Uhr erstmal nach Hause geht, eine Runde Familienzeit einlegt und sich dann nochmal an den Schreibtisch setzt, ist in den Köpfen vieler deutscher Chefs (und Chefinnen!) noch lange nicht angekommen. Und das im Zeitalter von Smartphones, Tablets und ständiger Verfügbarkeit.
Wir müssten irgendwie lernen, unser Leben und unsere Lebenszeit neu einzuteilen. Wem könnte das leichter fallen als unserer Generation? Klar gibt es Berufe, in denen ein solches Modell unmöglich ist. Ein Arzt muss am OP-Tisch stehen und kann nicht einfach verschwinden. Eine Verkäuferin wird im Laden gebraucht und kann ihren Job nicht online machen. Und doch gibt es so viele Dienstleistungs- und Büroberufe, wo es problemlos möglich wäre.
Möglich, ein unverkrampfteres Verhältnis zu seinem Leben zu bekommen, und festzustellen, dass Kinder da absolut hineinpassen. Weil sie einfach da sind und es einfach so ist. Umso besser, wenn die Betreuung da auch noch mitspielt: Mit einer Krippe um die Ecke, von der man genau weiß, dass man einen Platz zu genau den Zeiten bekommt, die man braucht. Die auch ungewöhnliche Arbeitszeiten und Schichtdienste zulässt.
Es könnte so einfach sein. Zumindest auf dem Papier. Wenn ich mir die Leserbriefe ansehe, die zu der Spiegel-Geschichte abgedruckt wurden, muss ich feststellen: Dieses Land braucht sehr viel mehr als mehr Geld für Krippen. Tenor in vielen Zuschriften: Ist eh besser, wenn die Mutter beim Kind bleibt – Karriere um jeden Preis ist doch pfui.
Stimmt zwar aus einer bestimmten Perspektive heraus. Ich will ja auch nicht bis abends um neun im Büro hocken und mein Kind nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ich will, dass es akzeptiert wird, dass ich am Nachmittag für mein Kind da bin. Und dass es ok ist, wenn ich einen Abendtermin absage, weil ich bei meiner Familie sein möchte. Das gilt im übrigen für Väter genauso. Auch die sollten mal sagen können: Sorry, Leute, aber den Termin müsste mal jemand anders machen, heute ist Familienabend.
Solange wir uns immer so viele Gedanken machen müssen, werden noch viele Endzwanziger und Mittdreißiger keinen Bock auf Nachwuchs haben. Weil sie zuviel darüber nachdenken statt einfach mal „zu machen“. Weil immer viel zu viel geplant wird und man sich dann am Ende in seinem eigenen Planungs-Wirrwarr total verheddert.
Es gibt noch genug Raum für viele Titelgeschichten, die sich mit gescheiterter Familienpolitik befassen.
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