Gestern erschien ein Kommentar zum Thema Elterngeld in der Süddeutschen Zeitung. Den las ich, wunderte mich, ärgerte mich auch ein bisschen und sah abends in meiner Facebook-Timeline, dass ich damit nicht alleine war. Es war nämlich einer dieser Texte, die einfach viel zu einseitig sind. Und die von einer einzigen provokanten These leben. In diesem Fall lautet sie: Eltern, die die Elternzeit nutzen, um eine längere gemeinsame Reise zu unternehmen, nutzen das System aus und machen quasi Urlaub auf Staatskosten.
Nun sind diese Elternzeit-Trips aber eine beliebte Auszeit für viele Familien. USA, Australien, Neuseeland, Thailand, Südafrika oder die Südsee (wo sich beispielsweise gerade meine Freundin K. samt Mann und zwei Kindern die Sonne auf den Bauch scheinen lässt (ja, genau, eine Elternzeit-Reise)), aber auch längere Reisen in Europa oder auch nur durch Deutschland (wo es im Übrigen so wunderbare Ecken gibt, dass man auch dort wochenlang verweilen kann!): Das alles wäre ja gar nicht möglich in diesem Umfang, wenn man auf die üblichen zwei Wochen Jahresurlaub angewiesen ist. Auch wir haben Elternzeit-Touren gemacht – zwar keine monatelangen Reisen, aber in der zusätzlichen gemeinsamen (!) Zeit, die uns die Elternzeit verschafft hat, waren wir halt in Europa und in den Bergen unterwegs. Entsprechend emotional fallen natürlich die Reaktionen auf eine solche These aus.
Raus aus dem Hamsterrad – warum auch nicht?
Wenn man ehrlich ist, dann ist die Elternzeit einer der seltenen Momente im Erwerbsleben, an denen man einfach mal aus der Job-Mühle ausbrechen kann und in der es legitim ist und jedem zusteht, auch mal vier oder acht oder weiß Gott wie viele Wochen einfach „weg“ zu sein. Stichwort zwei Wochen Jahresurlaub und der Chef meckert trotzdem, das wär ja irgendwie ganz schön lange. Und dass man sich da einen lang ersehnten Traum von der großen Reise erfüllt, das sollte doch auch legitim sein. Die nächste Möglichkeit kommt erst wieder in der Rente. Und wer vermag zu sagen, ob man’s dann überhaupt noch macht.
Gleichzeitig kenne ich eine Menge Familien, bei denen beispielsweise der Vater die Elternzeit genutzt hat, um das Kind in der Krippen-Eingewöhnungsphase zu begleiten. Während die Mutter schon wieder ihre ersten Tage im Job hatte. Oder Familien, die diese kostbare gemeinsame Zeit tatsächlich komplett zuhause im Alltag verbracht haben. Auch mein Mann fand es super, dass er mal Latte-Macchiato-Daddy sein durfte. Und da haben wir das Problem mit diesem SZ-Artikel: Dass er so einseitig ist und ein an sich wichtiges Thema leider komplett in Stereotypen versinken lässt.
Müssen Unternehmen gezwungen werden, Vätern Auszeiten für die Familie zu gewähren?
Denn zwischen den Zeilen des Textes steckt ja durchaus ein wahrer Kern: Nämlich die Problematik, dass man hierzulande einfach Instrumente schaffen MUSS, um voranzukommen in dem Dilemma, das sich Vereinbarkeit von Beruf und Familie nennt. Siehe die beiden Vätermonate, die mittlerweile gesellschaftlich und auch im Berufsleben tatsächlich einigermaßen angekommen und akzeptiert sind. 10 Jahre Elterngeld haben dafür den Rahmen geschaffen. Und das ist auch gut so. Es sind aber eben nur zwei, weil die Elterngeld-Regelung eben so ist, wie sie ist – das 12+2 Modell zu wählen ist für viele Familien in der bisherigen Situation wohl die beste Lösung.
Vielleicht würde sich das Denken tatsächlich nochmal drehen und es zur Normalität werden, eben mehr als zwei Monate zu nehmen, wenn die Regeln anders wären. Wenn es – wie im Artikel gefordert – Elterngeld nur gäbe, wenn sich Vater und Mutter beispielsweise die Elternzeit in jeweils sechs Monate aufteilen. Theoretisch könnte man also behaupten: Die Unternehmen müssen mit solchen Regeln gezwungen werden, endlich zu kapieren, dass es nicht den Untergang der Firma bedeutet, wenn ein Mann mal wegen der Familie beruflich zurücksteckt. Und dass nach einer zeitlich sehr begrenzten Phase die Karriere auch wieder weiterlaufen kann. Ein Punkt, an dem andere Länder schon längst weiter gekommen sind, ich werfe hier mal wieder das Stichwort Skandinavien in den Topf.
Urlaub auf Staatskosten in der Elternzeit? Die Realität sieht anders aus
Nichtsdestotrotz ist es ganz einfach Unsinn zu behaupten, Eltern würden sich auf Kosten des Staates einen lauen Lenz machen, wenn sie gemeinsam einen längeren Urlaub antreten. Denn, ohne jetzt überheblich wirken zu wollen, von den 1.800 Euro Maximalsatz kann man sich auch nicht viel kaufen. Denn alle üblichen Kosten laufen ja weiter. Sollte man beispielsweise privat versichert sein, geht unter Umständen ein Großteil des Elterngeldes schon alleine für den Beitrag drauf, den man dann komplett berappen muss (den Arbeitgeberanteil nämlich gleich noch mit). Und so ist man in der Realität ja dann doch schnell auf die im Artikel genannten und geforderten Ersparnisse angewiesen, um sich seinen Traum von der Weltreise mit Kindern zu erfüllen.
Abgesehen davon: Die gemeinsam verbrachte Zeit kann einem keiner nehmen. Sicher, es ist Urlaub und nicht der Alltag zuhause. Urlaub ist immer anders, aufregender, spezieller. Aber kann es einem Kind schaden, wenn es in der Geborgenheit seiner Familie eine wunderbare Zeit erlebt – die vor allem auch eine Zeit ist, in der sich die Eltern wieder finden können? Eltern zu werden ist nicht leicht. Das Paar, das vorher da war, existiert nicht mehr. Ich wollte es ja selbst nicht glauben, bis ich es erlebt habe. Der Prozess, sich wieder anzunähern, und zwar als Mann und Frau, und nicht als Mama und Papa, ist ein langer Weg. Und wie könnte man sich schöner wieder als Paar finden als in einer solch intensiven Zeit, die doch viel mehr ist als nur ein banaler Urlaub.
Reisen macht glücklich!
Kinder brauchen vor allem Eltern, die mit sich selbst im Reinen sind. Die als Paar, als Gemeinschaft an einem Strang ziehen. Damit sie ihre Liebe an ihre Kinder weitergeben können. Reisen hilft da durchaus. Weil es den Kopf wieder gerade rückt. Weil es so vieles, was im Alltag verloren geht, wieder zutage fördert. Warum also nicht losziehen, in die Welt – auch dort muss man schließlich Windeln wechseln, das Kind stillen, sich die Nächte um die Ohren hauen. Auch am anderen Ende der Welt ist man eine Familie mit einem Alltag.
Und wenn ich ganz tief in mich rein horche, dann stört mich an diesem Artikel vor allem eines: Dass er Eltern wieder vor allem in ihre Rolle als Wirtschaftsfaktor drängt. Du hast zu arbeiten, du hast zu funktionieren! Kehr gefälligst nach sechs Monaten wieder an deinen Schreibtisch zurück! Und der dabei verkennt, dass das viele Eltern eben gar nicht mehr so sehen: Dass der Job das Wichtigste im Leben ist. Dass sie merken: Es gibt noch mehr. Und die ihren Weg finden wollen, hin zu einer ausgewogenen Balance aus Geld verdienen und dem, was man neudeutsch so schön Quality Time nennt.
Leben und Arbeit in Balance – das sollte das Ziel sein
Denn genau das braucht es doch, damit die Unternehmen endlich verstehen: Die Produktivität eines Mitarbeiters hängt eben nicht davon ab, wie viele Stunden er an seinem Schreibtisch klebt. Sondern von seiner Einstellung zur Arbeit. Und die soll er gerne machen, das kann dem Unternehmen nur gut tun.
Und wenn ich mir die Energie und die Power dafür bei einer Reise in die Südsee hole – warum denn nicht?
EDIT: Wenn jetzt ein Single ein einjähriges Sabbatical macht, dann finden das alle toll. Mal ausbrechen aus allem, neue Perspektiven finden, das kommt auch dem Job zugute – unbedingt! Am besten einmal um die Welt. Fremde Kulturen kennenlernen. Den Kopf freibekommen. Die Batterien wieder aufladen. So. Und jetzt tauschen wir mal „Single“ aus durch „Vater mit zwei Kindern“ und überlegen uns die Reaktion … Was? Ein Jahr? Geht ja gar nicht! Mit den Kindern? Das ist ja Wahnsinn. Und Familien-Alltag lernt er da auch nicht, wenn er nur durch die Gegend schippert und sich die Sonne auf den Bauch knallen lässt. …. Merkst du was?
Ihr seid gefragt:
Was meint ihr denn? Verreisen in der Elternzeit – ja oder nein? Wohin seid ihr gereist? Ich kann wie gesagt nur mit Tirol, Teneriffa, der Steiermark oder Italien aufwarten (nach jahrelangem beruflichen Herumreisen hatte ich auf Fernreisen irgendwie keinen Bock mehr) – ich freue mich aber sehr über Reiseberichte auch in ferne Länder – gerne auch als Gastbeitrag hier auf dem Blog – schickt mir einfach eine Mail an allesinklein@gmail.com oder hinterlasst mir einen Kommentar!