Wenn man so rumsitzt und darauf wartet, dass sich in Richtung Geburt endlich mal was tut, hat man plötzlich Zeit für erstaunliche Dinge. Ich habe mich beispielsweise die Tage durch alte Ordner auf meinem Rechner geklickt und bin dabei auf Texte und Bilder gestoßen, die ich schon komplett vergessen hatte.
Die Geschichte, um die es hier geht, habe ich geschrieben, als ich von einer Reise nach Sri Lanka zurückkam. Als PR Manager für einen großen Reiseveranstalter war ich damals oft auf Pressereisen unterwegs – man reist mit einer Gruppe von Journalisten durch ein Land oder eine Region und daraus entstehen dann Reiseartikel. Während dieser Reisen bist du oftmals Mädchen für alles – und das ist echt anstrengend. Nichtsdestotrotz habe ich diesen Teil meines Jobs geliebt. Und die Sri-Lanka-Reise war überhaupt besonders. Weil mir die Menschen in dem damals noch vom Bürgerkrieg gebeutelten Land so sehr imponiert haben.
Mehr als 10 Jahre sind seitdem vergangen. Wenn ich den Text heute lese, erkenne ich in ihm die Jahre, die seitdem vergangen sind. Ich schreibe anders. Ich bin anders. Ich sehe die Welt mit anderen Augen. Ja, ich bin älter geworden. Und doch ist mir die Mittzwanzigerin, die das schrieb, immer noch so nahe. Und die Gedanken von damals sind auch heute noch meine.
Daher möchte ich mal ein Experiment wagen und stelle den Text hier auf den Blog. Es ist kein klassischer Reisetext, und schon gar nicht hat er mit Kindern oder Familie zu tun. Was hier auf dem Blog ja eigentlich die Regel ist.
Ich habe ihn damals für einen Wettbewerb verfasst, für den eher literarische Beiträge gesucht wurden (leider hab ich nix damit erreicht, und wenn ich ihn heute lese, dann verstehe ich auch warum :) – aber ich mag ihn trotzdem). Und ich möchte natürlich betonen, dass Sri Lanka immer eine Reise wert ist (deshalb habe ich auch noch ein paar Fotos dazu gepackt – auch und gerade mit Kindern!).
Die Person Sarah gibt es übrigens nicht. Sie ist quasi die Quintessenz „meiner“ Reisegruppe von damals.
Mit offenen Augen
Sudus entsetzter Blick sprach Bände. Sarah hatte gewagt, die Teilnahme an der Zeremonie in Frage zu stellen. Sie standen vor der großen Tempelanlage von Kandy, der wichtigsten im ganzen Land. Der Zahn Buddhas lag hier in einem goldenen Schrein. Zumindest der, den sie dafür halten, dachte Sarah und konnte ein grimmiges Gefühl nicht unterdrücken.
Sie war nach Sri Lanka gekommen, um über den Rebellenkonflikt zu berichten. Ihr erster großer Auftrag für eine Tageszeitung. Das Ding musste klappen. Und jetzt fuhr sie mit ihrem Guide durch das grüne Land und fand doch weit und breit keine Spur von Auseinandersetzung. Stattdessen wanderte sie barfuß durch Tempelanlagen, in denen Menschen Blumen und Getränke opferten und buddhistische Mönche in orangefarbenen Gewändern umherwandelten.
Der Tempel
Sarah kritzelte ein paar Zahlen auf ihren Block. Im Inneren des Tempels herrschte ein Andrang wie auf dem Wochenmarkt. Menschen brachten ihre Opfergaben und versuchten dabei, sich gegenseitig die besten Plätze streitig zu machen. Vor der Tür, die zum Schrein führte, hatten sich ganze Familien versammelt. Schweigend saßen sie auf dem Boden, ihre Kinder in den Armen und in den Augen einen Blick voller Zufriedenheit mit dem Moment – auch wenn er aus Warten bestand. „Ich versuche, eine Ausnahmegenehmigung zu bekommen“, wisperte Sudu, „dann kannst du zur Reliquie hinein.“
Schon wieder Sonderstatus. Dabei wollte sie das Land kennenlernen, wie es wirklich war und nicht, wie einige Tourismusbeauftragte wollten, dass sie es sähe. Sie wusste, dass es eine große Ehre war, dennoch zog sie Sudu mit sich nach draußen. „Ich brauche mehr Leben. Gehen wir in die Stadt.“ Der Guide guckte missmutig und fing an zu telefonieren.
Kandy
Im Straßengewirr von Kandy kaufte sie an einem Stand kleine Teigbällchen und verschlang einen Fladen, der aussah wie eine französische Crêpe. In Gedanken an ihre bislang so erfolglose Recherche betrat sie ein Geschäft. Getrocknete Teeblätter in hölzernen Boxen verströmten einen würzigen Duft. Ein grauhaariger Mann kam hinter dem Tresen hervor. Der Alte sprach leidliches Englisch und beantwortete ihr einige Fragen zu seinem Lebensalltag. Wirklich Erquickliches konnte sie dabei nicht zu Tage fördern. Zeit zu gehen.
„Tut mir leid, aber ich muss weiter. Brauche Stoff für meine Story“, sagte sie knapp. „Alles ist bislang viel zu banal.“ Der Mann zuckte mit den Schultern und kramte in einem seiner Teebehälter. „Was meinen Sie, wie viele Geschichten hinter Banalem stecken können. Man muss nur die Augen öffnen, um zu verstehen.“ Er hob grußlos die Hand, als sie seinen Laden verließ.
An der Ecke traf sie auf Sudu, der ihr mit zwei Zugtickets in der Hand entgegen winkte. „Morgen geht’s ins Hochland. Wir werden in einem super Hotel absteigen. Englischer Kolonialstil.“ Sie seufzte und blinzelte in die Sonne, die sich hinter einem blassen Wolkenschleier versteckt hatte. Die Hitze fühlte sich schmierig auf der Haut an. Auf der Straße brüllten die Tuk Tuks und drängelten sich Menschen in bunten Gewändern vor der Marktpassage. Die Filiale einer amerikanischen Hähnchenbraterei wirkte dazwischen wie ein Fremdkörper.
Geschichten erzählen
Verstehen, hatte der Teeverkäufer gesagt. Das ist doch mein Job, dachte Sarah ärgerlich. Als ob ich das nicht könnte. Und doch befiel sie das nagende Gefühl, dass der Alte recht hatte. Ihre Geschichte war kein Schlagabtausch zwischen einem Rebellenführer und seinem Kontrahenten der Regierungspartei. Sie lag verborgen in den Ecken und Gassen, zwischen den Menschen, die Blumen opferten und Teeblätter verkauften.
In ein paar Tagen war Weihnachten, davon war im geschäftigen Treiben von Kandys Straßen nichts zu spüren. Sarah dachte daran, dass sie noch Geschenke besorgen musste, denn pünktlich zum Fest würde sie wieder zurück in der Heimat sein. Weihnachten war so weit weg in diesem Land. Und doch …
Das Kleine im Großen
Sie dachte an die Menschen vor dem Schrein. So geduldig. Vor ihrem inneren Auge sah die die Holzfiguren in der Krippe, die ihre Mutter immer unter den Weihnachtsbaum gestellt hatte. Sah sich selbst als Kind, mit großen Augen vor dem glänzenden Baum. Kinderaugen sehen immer das Besondere. Eine Tanne wird zu einem Lichtermeer. Die Geschichte einer Geburt zu etwas Großem, Allumfassenden. Ja, der Tee-Mann hatte recht. Die kleinen Dinge sind so oft die wirklich wichtigen.
Sie warf einen Blick zurück zur Straßenecke und ging an der großen Akazie vorbei hinunter zum See, wo das Dach des Zahntempels in der Sonne blitzte.
Es war Zeit für das Abendgebet.
1 comment
Schöne Geschichte, schöne Bilder! Ziemlich gut schreiben konntest Du auch damals schon, finde ich. Chapeau! (Und ja, ganz klar: Die vermeintlichen „unbedeutenden“, vermeintlich trivialen Alltagssituationen bergen ein großes Potential für tiefes Erleben, sehe ich inzwischen auch deutlicher als früher). LG und nachträglich ein gutes Neues Jahr sowie alles Gute für das bevorstehende große Ereignis! :)