Puh, es ist viel passiert im vergangenen Monat und gefühlt passierte alles auf einmal. Sitzen. Bähm! Hochziehen. Zack! Krabbeln. Yes! Ich schreibe diese kleine Reihe der „Baby-Monate“ ja als eine Art Tagebuch und Dokumentation des erstes Lebensjahres für den Baby-Bub.
Und nun sitze ich da und wollte eigentlich was Schönes schreiben über das „Mobil werden“. Nur leider kann ich es nicht. Mir spuken gerade ganz andere Dinge im Kopf herum. Vieles hier auf dem Blog ist ja recht heiter und flockig. Rezepte und so was, lustige Anekdoten über die Kinder, auch mal ein paar ernstere Gedanken. Warum nur fliegt die Zeit so schnell, oje oje, mein Kind ist schon so groß, es ist so traurig, dass die schöne Säuglingszeit so schnell vorbei ist, wie stille ich ab, wie kann ich noch zehn Kilo abnehmen. All das.
All das, was uns bewegt, klar. Als Mütter, als Väter, als Eltern, als Menschen, die Eltern werden wollen oder vielleicht auch nicht. Das ist hier ist ein Mama-Blog. Deswegen sitze ich hier und überlege mir, in welchem Land da eigentlich meine Kinder aufwachsen.
Wenn ich die Zeitkurve zurücksause und mich ins Jahr 2006 beame, dann stecke ich mitten drin im Sommermärchen. Damals schien alles möglich. Wir tanzten auf den Straßen, gemeinsam mit Australiern, Brasilianern, Türken, mit allen, die da waren. Es waren ein paar Wochen wie im Rausch, einem positiven. Und plötzlich liebte uns die Welt. Das ist das Land, das auch ich liebe. Das ich verteidigt habe, als ich als Studentin in die USA ging und es mich so unglaublich nervte, dass alle immer nur an Nazis, Stasi und den kantigen deutschen Akzent dachten. Jetzt zeigen wir es ihnen allen, habe ich damals gedacht, im heißen Sommer 2006.
Ich vergaß dabei, dass die Oberfläche gerne mal glitzert. Und die Fäulnis darunter erst sichtbar wird, wenn man gehörig kratzt. Es scheint so zu sein, dass der Putz nun abgebröckelt ist. Der schöne Schein von damals, es gibt ihn nicht mehr. Und was dabei zum Vorschein kommt, entsetzt mich jeden Tag aufs Neue. Soviel Hass. Soviel Missgunst. Soviel Unwissen.
Es gehört wohl dazu zu deiner Timeline, mein lieber Bubi, dass der Sommer, in dem du so vieles gelernt hast, der Sommer ist, in dem andere nichts gelernt haben. Weil sie es nicht wollen, weil sie es nicht können. Es macht mich traurig. Betroffen. Denn es ist auch dein Land, Bubilein, und das deiner Schwester, denn ihr wurdet hier geboren und es macht mich nicht nur traurig, sondern auch wütend zu sehen, wie andere es für sich und ihre Ideologie vereinnahmen.
Es ist auch mein Land, und mein Land ist bunt. Mein Land steht ein für Menschen in Not, es hilft ihnen, wieder auf die Beine zu kommen. Und es heißt sie willkommen, egal woher sie kommen und egal wie ihre Geschichte ist. Mein Land, das auch das Land meiner Kinder ist, ist offen und tolerant. Es ist wunderschön, es ist unsere Heimat. Und in diesem Land ist kein Platz für Hass und Hetze.
Ich wünschte mir sehr, wir würden endlich demütiger werden. Demütiger der Tatsache gegenüber, dass uns so vieles geschenkt wurde, ohne etwas dafür zu tun. Dass wir durch Zufall auf der richtigen Seite des Zauns geboren wurden. Ich. Meine Kinder. Wir alle in diesem Land. Es tut mir in der Seele weh, wenn ich daran denke, was andere Mütter durchmachen müssen. Ich kann es mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie es ist, mitten im Krieg zu leben. In ständiger Angst um die Familie. In dem Moment, in dem ich Kinder bekam, wurde ich so verletzlich. Weil ich weiß, wie verletzlich meine Kinder sind, wie fragil unser kleines Glück sein kann. Jede Mutter denkt so. Egal wo auf der Welt. Egal welche Hautfarbe sie hat. Welche Religion.
Ich verstehe unsere Arroganz nicht. Den Hochmut, den manche Menschen in diesem Land an den Tag legen. Ich bin besser als du, sagen ihre Worte, ihre Blicke, ihre Gesten. Weil du da blöderweise auf der falschen Seite des Zauns geboren wurdest. Pech gehabt. Können wir auch nichts machen. Woher kommt dieser Hass? Wo ist der letzte Funke Gefühl geblieben? Mitleid, Empathie, Fürsorge?
Wir haben so viel, ohne dass es uns bewusst ist. Ich hätte jetzt einen netten Post über unseren neuen Stokke-Stuhl schreiben können. Der Tripp Trapp, weißt eh. Der beste Kinderstuhl ever. Finde ich. Ja, es hätte auch so toll gepasst, denn ich wollte ja was dazu schreiben, dass der Bub jetzt neun Monate alt ist und seit zwei Wochen sitzen kann. Einfach so hat er das gemacht. Saßen auf der Decke beim Geburtstagspicknick und plötzlich saß er da. Die Mami hat ein Tränchen verdrückt. Mein Bub wird groß.
Wir HABEN all das. Wir haben Stokke-Stühle und Geburtstagspicknicks im Park und unsere einzige Sorge ist, welche Farbe denn der Stokke jetzt haben sollte, damit er auch zum Esstisch passt und zum Rest der Bude. Ich nehme mich da nicht aus. Ich poste banale Dinge und mache Fotos von meinem Essen und schreibe über manches Private hier auf dem Blog, über das sich mein Mann dann aufregt, weil es ihm zu privat ist.
Aber zwischen all dem alltäglichen Wahnsinn, der sich Leben nennt, tut es manchmal gut, sich ein wenig zurückzunehmen und mal über den Rand des MacBooks hinauszulugen. Und das, was ich da sehe, gefällt mir nicht.
Denn was wir unser Leben nennen, ist für andere das Paradies. Weil es hier alles gibt. Weil es hier anderes wiederum nicht gibt. Krieg. Armut. Verfolgung. Und es gibt so viele Menschen in diesem Land, für die das alles so selbstverständlich ist. Haben wir uns ja erarbeitet. Teilen? Bloß nicht.
Wäre es nicht ein solch ernstes Thema, ich könnte fast drüber lachen. Da mühe ich mich täglich ab, meinen Kindern beizubringen, dass sie lernen müssen zu teilen. Und dann verschwindet das Wort Solidarität einfach aus dem Wortschatz eines größeren Teils der Gesellschaft.
Ich hoffe, immer noch, dass dieser Teil doch gar nicht so groß ist. Dass es einfach nur so scheint, weil manche besonders laut schreien und andere vielleicht noch zu leise sind. Und gerade deswegen geht es hier nun doch nicht um Kinderstühle. Nicht um Baby-Motorik. Sondern um sehr viel mehr. Es ist an uns, es kundzutun. Es zu sagen, es zu rufen, es zu singen, es zu schreiben.
Mein Land ist bunt. Das Land meiner Kinder ist bunt. Und das lassen wir uns nicht kaputt machen. Von niemandem.
Der Bub wird bald laufen. Aufrecht gehen. Und dabei hoffentlich nie vergessen, was ich versuche ihm beizubringen. Dass Aufrichtigkeit auch immer bedeutet, für seine Werte einzustehen. Dass Liebe stärker ist als Hass. Und dass niemand besser ist als andere.
Denn am Ende des Weges sind wir doch alle das Gleiche. Staub.
6 comments
Liebe Petra, der Artikel berührt mich sehr und geht unter die Haut. Das macht was mit einem… und das braucht es beizeiten auch ….Unter dem Sammelsurium an Mama-Blogs, die es mittlerweile so gibt… die auch alle nett sind und ihre Berechtigung haben… Aber Mama sein und Kinder in die Welt setzen heißt eben nicht nur an Tripp Trapps denken und zu überlegen, in welcher Farbe man den nächsten Babybody kauft…
Du hast es so treffend beschrieben und mich direkt mitgenommen… ins Jahr 2006… Ja, Du hast sowas von recht… Es war so herrlich und wir waren so stolz auf unser Land. Nazideutschland gabs augenscheinlich nicht mehr. Die Welt, unsere deutsche Welt, war bunt und tolerant und glücklich (zumindest bis uns die Italiener die WM versauten… ;-)
Ich denke aber, stolz auf unser Land, das können wir dennoch immer noch sein. Deutschland ist Europas Reiseland Nummer 1. Und ich glaube (und hoffe!) jetzt nicht, die kommen alle wegen der Nazis… Deutschland nimmt (wenn man den Zahlen glauben mag), die meisten Flüchtlinge auf…und ja, Deutschland ist bunt. Und das ist auch gut so! Wenn einem ein Spagat gelingen mag, dann vielleicht uns am ehesten… Hat uns doch alle (ob wir wollen oder nicht) die Vergangenheit geprägt. Die Auseinandersetzung über das Geschehene hat uns ein Bewusstsein geschaffen, das uns niemand nehmen und vielleicht auch keiner so schnell nachmachen kann. D.h., wir Deutschen sind in dieser Hinsicht vielleicht immer einen Sprung voraus… so sehr haben sich bei den meisten von uns die schrecklichen Bilder der KZ´s und der Nazi-Ideologie eingebrannt…. selbst in Freital hängen jetzt Werbeplakate gegen Nazis. Trotz aller Schreckensmeldungen macht mir das Mut…. Das es Menschen gibt wie Dich, mich und viele andere, die sich äußern, etwas dagegen sagen, STOP rufen und alleine durch ihr Gedankengut den rechten Strömungen entgegen wirken. Davon braucht es mehr, viel mehr… Aber ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Sich damit auseinandersetzen, den Kindern und Kindeskindern davon erzählen, kritisch sein und bleiben… damit ist schon viel getan. Du hast es so schön beschrieben… Aufrecht gehen. Und so handeln, dass man sich selber immer noch im Spiegel anschauen kann, egal, was passiert. Wenn dann noch alle zusammen stehen, zusammen rücken…Wer kann uns dann noch wirklich etwas anhaben?! Alles Liebe, Sylvia
Liebe Sylvia, danke für diesen schönen Kommentar! Ja, es ist wichtig auch mal laut zu sein. Vermutlich tönt es als kleiner Blog nicht ganz so imposant. Aber viele zusammen: das macht richtig Krach. Deswegen hoffe ich auf noch viele solcher Beiträge. Die es ja durchaus schon gibt, ich hab schon einiges sehr Ermutigendes gelesen. Für mich war dieser Post sehr wichtig. Das musste jetzt einfach mal raus. Und den Stokke-Stuhl mag ich trotzdem sehr gern. ???? Alles Liebe!
Liebe Petra, das hast Du wahnsinnig schön und vor allem treffend aufgeschrieben! Ich liebe Posts, die irgendwas mit einem machen – und der hier macht sehr viel. Deshalb wünsche ich ihm jede Menge Leser!
Danke, du Liebe!! Ich bin echt geflasht. Soviel tolles Feedback. Ich freu mich sehr. ???? Das Herz schreibt wohl mit bei solchen Themen. Es ist schön zu sehen, dass das Gefühl dann auch weitergetragen wird. Genau das wollen wir ja. Einfach schön.
Du sprichst mir aus der Seele. Letztens saß ich total traurig neben meinem Mann während der Nachrichten auf dem Sofa: Wenn man sowas sieht, wie soll man sich noch freuen, seinem Kind die Welt zu zeigen, wenn diese doch nur wie ein widerliches, braunes Monster zurück grinst und sich von ihrer hässlichsten Seite zeigt? Mich macht das auch sehr betroffen, noch mehr seitdem ich schwanger bin und den Gedanken nicht mehr weg schieben kann, welche Welt wir unseren Kindern eigentlich hinterlassen. Mich plagt ein schlechtes Gewissen, weil ich all das sehe und nicht handle, keinen aktiven Beitrag leiste, um etwas zu ändern.
Liebe estrael, oh ja das kenne ich. Man fühlt sich so unglaublich machtlos. Aber das sind wir nicht! Wir haben Wörter und Sprache, wir können darüber reden und schreiben. Wir können unseren Kindern erzählen, dass es auch eine andere Welt gibt. Es wird niemals die ideale Welt voller Harmonie und Einigkeit geben. Aber wir können auch im Kleinen was bewirken, das wurde mir bewusst, als ich den Post schrieb. Kinder sehen die Welt mit anderen Augen. Sie kennen diesen Hass nicht, der einem dieser Tage überall entgegen schlägt. Das ist so tröstlich. Es ist an uns, ihnen diesen Blick auf die Welt zu bewahren, denke ich. Und da können wir als Eltern sehr viel tun. Ich wünsch dir alles Gute für die Schwangerschaft – gute Gefühle sind wichtig, das gibt entspannte Kinder (ich bilde mir zumindest ein, dass es bei meinen geholfen hat:-)). Liebe Grüße!