Es ist ein seltsames Gefühl, als ich den Schulhof betrete. Ich bin diesen Weg hunderte Male gegangen. Jetzt stehen da schon kleine Grüppchen rund um eine der Tischtennisplatten vor dem Gebäude. Ich bin spät dran, eine der letzten, die kommt. Vor 20 Jahren bin ich von hier fortgegangen. Ein Teil meines Lebens blieb in diesem Schulhof zurück. Meine Kindheit. Meine Jugend. Jetzt bin ich wieder zurück.
Alles anders. Alles gleich.
Wir treffen uns. Umarmen uns. Ich weiß gar nicht, wo ich zuerst hingehen soll, um „Hallo“ zu sagen. Und: „Wie geht’s?“ Etwa die Hälfte unseres Abi-Jahrgangs ist gekommen, einige Gesichter habe ich tatsächlich seit 20 Jahren nicht mehr gesehen. Unser ehemaliger Musiklehrer begleitet uns ins Schulhaus, führt uns herum. Ein paar bunte Spinde stehen nun im Gang. Sonst scheint sich wenig verändert zu haben. In der Aula hängen die gleichen Bilder wie vor 20 Jahren. Selbst die Pflanzen vor dem Biologie-Saal sind noch die gleichen. „Meinst du, im Kartenraum müffelt es immer noch so schlimm wie damals?“, fragt einer, als wir am Geographie-Trakt vorbeigehen, und kichert.
Das Ende ist immer erst der Anfang.
Im Oberstufenraum haben sich viele Abi-Generationen nach uns verewigt. Von uns keine Spur mehr. „Abi 2018“ ist über die Tür geklebt. Als sie geboren wurden, war ich schon mitten im Studium. Jetzt werden sie bald selbst in diese große, weite Welt hinausgehen. Ich denke daran, dass sie meine Kinder sein könnten. Und daran, wie großartig und erwachsen ich mich fühlte, als ich durch das große Tor schritt und davon brauste, den Kopf voller Pläne und Träume. Manche davon sind wahr geworden. Manche nicht.
Wir schlendern weiter und hören kaum zu, was gesagt wird über das Gebäude und den neuen Anbau, die Mensa, die es nun gibt, das neu gestaltete Lehrerzimmer. Was machst du denn, wo wohnst du jetzt, hast du Familie, Kinder, und wie viele? – Wann hast du denn Geburtstermin? werde ich gefragt und: Ist das dein erstes Kind? Nein, lache ich, das dritte. Dann gucken manche ungläubig. Ja, wer hätte das jemals gedacht.
Wir freuen uns alle, uns wiederzusehen, doch irgendwie ist da auch eine gewisse Distanz. Wir kennen uns so gut und doch wieder nicht. 20 Jahre sind eine lange Zeit. Manche kennen meinen Blog und eine sagt: „Ich weiß immer, was bei dir passiert, ich lese ja regelmäßig mit!“ Und trotzdem ist es anders, wenn man sich plötzlich gegenüber steht.
Ein paar Stunden nur, um 20 Jahre zusammenzufassen.
Nach der Schulführung gehen wir zum Essen, wir sitzen an zwei langen Tafeln und es ist so, als wären wir 20 Jahre zurückgebeamt. Die Gruppen von damals finden sich wieder, sitzen zusammen, erzählen, trinken. Die Zeit vergeht schnell, es klappt gar nicht, mit allen zu sprechen, sich auszutauschen über viele Dinge. So bleibt es bei der Oberfläche. Wohnort. Kinder. Job. Die ersten verabschieden sich, noch schnell ein Sprizz, letzte Runde, vielleicht ziehen wir noch weiter?
Es herrscht Aufbruch, eine neue Kneipe am Hafen hat aufgemacht, da wollen alle noch hin. Ich pack das nicht mehr, mein schwangerer Bauch spannt, ich fahr nach Hause, im Auto meiner Eltern. Wie damals. Verabschiedung, BussiBussi, wir müssen uns ganz bald wieder treffen, ja lasst uns das machen, unbedingt.
Auf ein Wiedersehen. Irgendwann.
Wir steigen in die Autos. Der, der es geschafft hat im Leben, wirft kurz seinen Tesla an, fahren kann er nicht mehr, zu viele Drinks, aber ein bisschen posen muss schon sein. Ein anderer nimmt ihn mit. Die Nacht ist kalt nach diesem warmen Oktobertag, es riecht nach Herbst. Erdig und scharf.
Nur einen kurzen Absacker noch, dann war es das. Für ein paar Stunden waren wir wieder die, die vor 20 Jahren auseinander gingen. Als wir vom Parkplatz auf die Hauptstraße einbiegen, bildet sich eine kleine Auto-Schlange. Dann fahren die ersten ab, jeder in seine Richtung. Zurück zu unseren Familien. Zurück in unsere Leben.
Ein paar rote Rücklichter leuchten kurz auf, bis sie von der Nacht verschluckt werden.