Es gibt einen Ort, der mal zuhause war. Und, wenn ich es mir recht überlege, er ist es immer noch. Zwischen Schwarzwald und Vogesen, am Oberrhein, bin ich aufgewachsen. Und so seltsam es klingt: Jetzt, wo ich selbst ein Kind habe, fühle ich mich diesem Ort so nahe wie schon sehr lange nicht mehr.
Die Sommer dort sind oft lang und heiß. Nach einem Tag voller Hitze stapeln sich die Wolken am Fuß des Schwarzwalds, dort wo die flache Rheinebene ins Gebirge übergeht. Und über allem hängt eine große schwüle Glocke aus Wärme und Feuchtigkeit.
Als Kinder haben wir diese Tage am Wasser verbracht, die Auenlandschaften rund um das Dorf ziehen sich wie ein Netz parallel zum Rhein. Kanäle, die in Seen münden, ausgebaggerte Tümpel und Bäche mit glasklarem Wasser – „Gießen“ heißen hier die Wasserläufe, wenn sie aus dem Grundwasser gespeist werden. Eine Welt aus Wasser und grünem Wald. Unser Urwald.
Der Amazonas liegt am Rhein. Zumindest heute. Er beginnt nur ein paar Schritte hinter meinem Elternhaus. Es hat geregnet, das Gewitter vom Vorabend hängt noch immer in der Luft. Alles dampft und trieft und ein Vogel schreit im Gebüsch, die tropische Feuchte legt sich auf die Haut.
Auf den Gewässern, die einmal die Seitenarme des Rheins waren, schwimmen Wasserlinsen und krabbeln Wasserläufer. Irgendwoher quakt es. Sonst ist hier nichts außer Stille. Die Wolken hängen schwer über der amphibischen Landschaft und es ist nur eine Frage der Zeit, bis wieder Regentropfen fallen werden. Es scheint, als wäre die Zeit stehen geblieben. Ich will sie festhalten und für immer bewahren.
Ich atme Kindheit. Schiebe den Kinderwagen weiter und freue mich still, dass sich manche Dinge einfach nie verändern.
Tipp: Geführte Bootstouren durch die Auenlandschaft gibt es im Naturschutzgebiet Taubergießen, etwas südlich von meinem Heimatort. Eine solcher Ausflug in den „Amazonas am Rhein“ ist für Erwachsene genauso wie für Kinder ein echtes Naturerlebnis: www.taubergiessen.com
2 comments
Dieses Gefühl – „ich atme Kindheit“, das Du übrigens schön ausdrückst und beschreibst – hatte ich bei meinem Besuch auch wieder zu treffen gehofft. Leider aber nicht so unschuldig-schön wie bei Dir. Ich kann mir gut vorstellen, dass es einem sehr viel Kraft und Gelassenheit vermittelt, an so eine ursprünglichen Ort aufgewachsen zu sein. Wahrscheinlich bin ich erst jetzt auf der Suche nach so einem Lebensgefühl.
Und: Gratuliere zum gelungenen Einstieg in die Blogosphäre! Sieht gut aus und liest sich auch schön! :)
LG
Vielen Dank! Es ist wirklich erstaunlich, wie viele Dinge einem plötzlich auffallen, die man früher einfach übersehen hat. Vermutlich ist das Alter schuld :-) Und ja, es ist ein schöner Ort, um aufzuwachsen. Aber ich möchte meine neue Heimat ehrlich gesagt auch nicht mehr missen. Bis bald – liebe Grüße!